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„und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“ - Teil 2

Von Anja

Am 24.09.2019 war es dann soweit und ich bekam auf der linken Seite mein erstes Cochlea Implantat (CI). Glaubt mir, auch wenn meine Entscheidung schnell feststand, hatte ich große Angst vor der Operation. Angst ist eine sehr große Schwäche von mir, die mich in ungewohnten/neuen Situationen immer begleitet. Zum Glück hatte ich im Krankenhaus eine Bettnachbarin, die 11 Jahre jünger war und ihr zweites CI bekam. Wir hatten uns gegenseitig Mut gemacht und uns somit die Angst genommen.

Als ich nach der OP aufwachte, hatte ich einen Bärenhunger, schon mal ein gutes Zeichen, oder? Ich hatte Adrenalin in mir, ich war so happy alles gut überstanden zu haben und zu hören, dass die OP ohne Komplikationen verlief. Ich merkte nur ein leichtes Ziehen am Kopf und fühlte mich, als könnte ich Bäume ausreißen. Das hielt die ersten drei Tage recht gut an, aber dann kam alles heraus. Die vorherige Angst, die OP und ihre Nachwirkungen. Ich fühlte mich zu Hause richtig erschöpft und hatte zum ersten Mal meine Angstattacken mit Zitteranfällen bekommen, so wie ich es im Kindes- und Jugendalter mal hatte. Zum Glück war ich die vier Wochen bis zur Erstanpassung krankgeschrieben, konnte mich erholen und mir Gedanken machen, wie es nun beruflich weitergehen soll. Ich wollte und konnte an meine Arbeitsstelle nicht mehr zurück, aber könnte ich jemals mit meinen Ohren noch als Erzieherin arbeiten? Fragen über Fragen, die sich nicht so leicht beantworteten.

Ich freute mich erst einmal, als am 23.10.2019 mein CI aktiviert wurde. Ich ging mit großer Hoffnung und Freude dahin, auch wenn die Ärzte mir vorher mitteilten, ich soll keine hohen Erwartungen mitbringen. In meinem Inneren spürte ich aber, dass es sich gut anfühlt und dass es die richtige Entscheidung war. Und das war es auch, es wurde aktiviert und ich konnte sogar schon etwas hören, ja sogar mich nach den ersten Einstellungen mit der Therapeutin unterhalten. Da war wieder das hohe Adrenalin und die Freude, so dass ich mich gleich in den Straßenlärm von Würzburg begab und mir einen Kaffee in einer kleinen Bäckerei neben der Uniklinik gönnte. Ich nahm so vieles auf, ja manchmal war es sogar zu laut, aber als ich dann zum ersten Mal die Vögel wieder hörte, kamen mir die Tränen und ich wusste, das war die beste Entscheidung.

Mein Arzt wusste, wie es mir an der Arbeit ging und schrieb mich bis zu meiner Reha krank. So hatte ich Zeit, mir Gedanken zu machen, wie es weitergehen soll. Bis zur Reha nahm ich Logopädie Stunden, die mir und beim Üben mit dem CI sehr geholfen haben.

Ja und dann kam schon die Nachricht, ich kann am 02.01.2020 nach Bad Nauheim in die Kaiserbergklinik auf Reha.

Die Freude war da, aber kurz davor auch wieder meine Angst. Ich, alleine wohin, wo ich niemanden kenne und nicht weiß was auf mich zukommt. Die Angst begleitete mich in den ersten Tagen an der Reha leider wieder mit Zitteranfällen. Ich musste erst einmal ankommen und als ich es war und mich darauf einlies, merkte ich, wie gut es mir tut.

Die täglichen Einzeltrainings mit dem CI aber auch die täglichen Gruppentrainings haben mein schon gutes Hören mit dem CI verbessert, denn es machte einfach Spaß. Ein großes Lob an alle Therapeuten dort. Die psychologischen Gespräche halfen mir, meine Erlebnisse in der Vergangenheit aufzuarbeiten und ich spürte, wie gut so etwas tun kann, wenn man die richtige Therapeutin hat.

Aber das was mir am meisten geholfen hat, war der tägliche Austausch mit den anderen CI Patienten. Ich habe mich plötzlich verstanden gefühlt und es gab/gibt Menschen, die interessierten sich für mich und meine Schwerhörigkeit. Tisch Nummer 4 und 5 im Speisesaal, die lautesten überhaupt und wir mussten fast jeden Abend rausgeworfen werden 😊, wir waren zu einer richtig tollen Truppe - „die tauben Nüsschen“ - zusammengewachsen und das nicht nur CI Patienten, sondern auch mit Tinnitus und Schwindel geplagte. In diesen fünf Wochen habe ich rund um das Ohr, das Hören, ja was eigentlich Hörstress bedeutet, vieles gelernt. Hätte mich in den vielen Jahren davor, mit meiner Schwerhörigkeit, kein Arzt damit aufklären können?

Was ich aber in dieser Zeit an mir selbst gespürt habe, ich bin wieder ich. Vielleicht nicht mehr ganz die alte, denn die Vergangenheit mit den Erfahrungen, die man sammelt, prägen einen, aber ich habe mein Lachen wieder zurückgewonnen und meine Mitpatienten wissen es am besten, wie es ist, wenn ich lache 😊.

Von diesem Zeitpunkt an änderte sich so einiges. Natürlich mein Hören, dass plötzlich auf der linken Seite viel besser funktionierte als auf der rechten Seite mit Hörgerät. Ich hatte wieder Freude/Spaß daran auszugehen, mich mit Menschen zu unterhalten. Meine Beziehung veränderte sich zum positiven und ich kündigte an meiner Arbeitsstelle.

Nur eine Frage blieb noch, die mir auf der Reha oft genug gestellt wurde. Was mache ich mit meinem rechten Ohr, wo ich noch ein Hörgerät trage? Alle Therapeuten hatten Recht, ich höre auf der linken Seite mit dem CI schon so gut, dass ich gleich die rechte Seite implantieren lassen könnte. Doch will ich das? Ich klammerte mich auf meiner rechten Seite an meinem guten Restgehör. Ich wollte es nicht verlieren, denn die rechte Seite war schon immer die bessere Seite und ich konnte ohne Hörgerät noch etwas hören, ja sogar telefonieren. Ich testete zu Hause und in meiner Umgebung immer wieder. Mal nur mit linker CI Seite und mal nur mit der rechten Hörgerät-Seite. Mir war es von Anfang an klar, dass das CI viel mehr kann und ich auf dieser Seite viel besser höre. Das ungleiche auf den Seiten fand ich unangenehm, ich wollte auf beiden Seiten gleich hören. Also entschied ich mich dafür, auch die rechte Seite implantieren zu lassen.

Corona machte es erst nicht möglich, aber als ich dann am 11.05.2020 konnte, wagte ich diesen Schritt. Obwohl ich wusste, was auf mich zu kommt, hatte ich komischerweise vor dieser OP noch mehr Angst. Vielleicht lag es einfach an meinem Restgehör, an das ich mich klammerte, aber diese OP verlief sogar noch besser als meine erste. Sie konnten die Elektroden sehr tief einsetzen.

Die Erstaktivierung war wie beim ersten Mal, ich konnte sofort etwas hören und verstehen. Ich merkte, mein Kopf hatte sich durch das erste CI schneller umgestellt und so konnte ich gleich mit der rechten Seite viel besser hören.

Ich bekam wieder Logopädie-Stunden und lustigerweise ging es wieder im Januar am 11.01.2021 nach Bad Nauheim auf Reha. Verrückt, dass sogar fast alle Therapeuten mich nach einem Jahr wiedererkannten und das sogar mit Mundschutz. Diese Reha konnte ich nicht mit der Reha davor vergleichen. Es war eine ganz andere Zeit mit Corona. Das menschliche/miteinander ging diesmal etwas unter, weil einfach die Masken gestört haben aber ich bin trotzdem nach drei Wochen mit einem sehr guten Hörgefühl nach Hause gefahren.

Und warum ich von Geburt an überhaupt schwerhörig bin, das konnte mir noch keiner genau sagen. Seit ich in der Uniklinik in Behandlung bin, forscht das Institut für Humangenetik an was es liegt.  

Nun bin ich glückliche Besitzerin zweier Cochlea Implantate und trage sie mit Stolz und arbeite immer noch als Erzieherin. Ich bin nun mit den Kindern im Wald, in der Natur unterwegs, denn ich wollte in den engen kleinen Räumen nicht mehr arbeiten, auch wenn es mit den CI´s besser geklappt hätte. Wenn alles gut läuft, kann ich mit meiner Hundedame eine Ausbildung machen, so dass sie mich jeden Tag mit den Kindern begleiten kann. Das ist mein nächstes Ziel, mein Wunsch. Das alles wäre glaube ich nie so gekommen, wenn ich mich nicht für die beiden CI´s entschieden hätte.

Mit meinen beiden Erfahrungsberichten möchte ich anderen zeigen, was eine Schwerhörigkeit beinhaltet und wie sie uns verändern kann. Ich möchte denjenigen Mut machen, die vor so einer Entscheidung stehen und anderen die Kraft geben weiter zu üben, die vielleicht ein CI besitzen aber damit noch nicht zurechtkommen.

Eins dürft ihr aber nie vergessen, bleibt euch selbst treu und seid stolz darauf, was ihr erreicht habt und welche Menschen euch dabei unterstützt haben. Diese Menschen sind wahre Schätze.

„und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“

Viele Grüße
Anja
November 2021