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Mit dem Ersatzinnenohr zurück ins Leben gelauscht - Neue OZ Online vom 23.06.2005

Mit dem Ersatzinnenohr zurück ins Leben gelauscht 

23.06.05
Von Anne Overesch
Messingen 
 
Für das Gefühl hat Ewald Ester keine Worte. Während der 57-Jährige noch nach passenden Begriffen sucht, spricht er mit dem Körper: Er streckt seine Handflächen aus, krümmt die Finger zu einer Schale. Das sieht aus als forme er eine kleine Satellitenschüssel, die sämtliche Geräusche in der Umgebung auffangen soll. So fühlt es sich für Ester an, wieder hören zu können. 
 
Ewald Ester ist taub. 1999 haben Ärzte dem Messinger eine Prothese des Innenohrs eingesetzt. Der medizinische Fachbegriff für Innenohrschnecke ist "cochlea". In Deutschland gibt es 8500 Patienten mit einem solchen Cochlea-Implantat (CI). "Das ist eine elektronische Hörhilfe", erklärt Ester. Ein normales Hörgerät helfe tauben Menschen wie ihm nicht weiter. 
 
Von der hochkomplexen Prothese ist nur ein schmaler Haltebügel um Esters Ohr herum zu sehen. Darin verbirgt sich ein Mikrofon und Sprachprozessor. Die Technologie im Bügel wandelt Geräusche in digitale Signale um. Die werden an das unter der Haut verborgende Implantat einer Innenohrmuschel weitergeleitet. Das CI funktioniert dann tatsächlich wie eine Schüssel, die elektrische Impulse auffängt und über Elektroden die Hörnervfasern stimuliert. 
 
"Das war wie ein Wunder für mich", berichtet Ester von den Momenten nach der Operation. Nach Jahren nahm er plötzlich Geräusche wahr. Auf einmal vernahm er wieder die Stimme seiner Frau. Und er lauschte Gesprächsfetzen der Menschen um ihn herum. 
 
Der Messinger kehrte durch das Implantat wieder zurück ins Leben. Mit 36 Jahren hatte sein Gehör nachgelassen. Mit jedem Wort, das er damals nicht mehr verstand, war er ein Stück weiter rausgerückt aus seiner Welt: "Man zieht sich einfach im Alltag zurück, weil man sich so schämt", erklärt Ester. Im geselligen Kreis habe er nicht immer und immer wieder die Freunde etwas wiederholen lassen wollen. Gespräche rauschten an ihm vorbei. 
 
"Die Schwerhörigkeit hat mich den Job gekostet", berichtet Ester. Aus Sicherheitsgründen habe ihn sein Arbeitgeber nicht mehr beschäftigen können. Mit den Jahren habe er dann seine Hörfähigkeit völlig verloren. 
 
Mit dem Implantat kann Ester heute wieder Telefongespräche führen oder beim Plaudern mit Bekannten den Blick umherschweifen lassen. "Das ist schon ein riesiger Fortschritt, dass ich meinem Gesprächspartner nicht mehr von den Lippen ablesen muss", freut er sich. 
 
Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht. Denn auch mit Cochlea-Implantat brauchen viele Patienten Monate und Jahre, bis sie wieder Worte richtig verstehen können. "Ich musste das Hören neu erlernen", erinnert sich Ester. Über den Sprachprozessor kämen Töne mechanisch verzerrt an. Dem Messinger gelang es aber schnell, seiner Umwelt mit dem Ersatzohr zu lauschen. "Ich bin da ein Musterschüler gewesen", lächelt er. 
Diese Freude und den Durchhaltewillen auf dem Weg heraus aus einer verstummten Umgebung will Ester anderen weitergeben. Deshalb hat er eine
 
Selbsthilfegruppe bei der Deutschen Cochlear Implant Gesellschaft gegründet. Die 27 Mitglieder aus den Regionen Emsland und Westfalen treffen sich an den Universitätskliniken Münster. Ewald Ester ist unter Telefon 05906/1434 und Fax 05906/ 960751 erreichbar. 
 
Quelle: http://www.neue-oz.de/information/noz_print/kreis_emsland/11254023.html
 
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