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Der Mikropozessor im Ohr erspart das Hörgerät

Implantierte Elektronik öffnet Tauben die Tür zur akustischen Welt / Informationsveranstaltung in der Uniklinik

Dank einer modernen Computertechnik können viele Taube und Schwerhörige ihr Hörvermögen fast vollständig zurückgewinnen. Möglich macht dies die als "Cochlear Implantat" (CI) bekannte elektronische Innenohrprothese. In Frankfurt hat sich vor kurzem ein Patienten- und Ärzteverein gegründet, der CI bekannt machen will. Am Samstag, 12. Oktober, ist die erste Informationsveranstaltung.

FRANKFURT A. M. "Da läuft es einem kalt den Rücken runter: Du hörst ein unbekanntes Geräusch, fragst und dann heißt es, das sei das Schnarchen eines Hundes oder Vogelstimmen im Wald." Für Michael Schwaninger ist das kleine Gerät in seinem Schädelknochen ein Wunder. Der heute 34-Jährige litt seit der Pubertät an zunehmenden Hörstörungen. "So vor anderthalb Jahren grenzte mein Zustand dann fast an Taubheit", erzählt Schwaninger, der als Abteilungsleiter beim Frankfurter Pharmakonzern Merz arbeitet. Dennoch behielt er seine Stelle. "Merz war da sehr tolerant, aber das gilt nicht für alle Arbeitgeber."
Im Oktober 2001 begab sich Schwaninger zur Uni-Klinik und ließ sich die elektronische Hörhilfe CI implantieren. Heute spricht er ohne Stocken und Lautstärkeschwankungen, kann fast alles hören. Selbst Telefongespräche, in denen die Mimik des Gegenübers fehlt, sind kaum noch ein nennenswertes Problem für den Rodgauer. "Man muss natürlich schon ein bisschen technikfreundlich sein", meint Schwaninger. Ein Mikroprozessor unter der Haut, der Funkwellen einer externen Mikrofon-Sendeeinheit hinter dem Ohr in elektrische Reizströme umwandelt und an den Hörnerv weitergibt - das klingt wie Science Fiction. "Ist aber eigentlich nichts anderes als das, was ein Herzschrittmacher auch macht."
Und wie bei jeder neuen Prothese muss der Träger sich an die Hilfe gewöhnen. Das CI hört sich für operierte Schwerhörige anfangs ähnlich an wie schlecht übertragener Funkverkehr: erst einmal unverständliches, verzerrtes Gekrächze. Nach einer Phase des Einhörens versteht der Operierte dann plötzlich klar und deutlich formulierte Worte. "Aber natürlich läuft man mit einer Beinprothese auch nicht bei einem Marathon mit", sagt Schwaninger.
Viele CI-Operierte aber hoffen auf eine sofortige Wiederherstellung ihres Hörvermögens. "Für viele ist die erste Frage: ,Kann ich jetzt wieder telefonieren?'" Das dauert. Schwaninger hatte Glück, dass er nicht allzu lange taub war, Hörnerv und Hirn konnten sich schnell wieder ans Hören und Verstehen gewöhnen. Eine Bekannte Schwaningers, die seit fast 30 Jahren nichts hört, das CI länger trägt als er, ist noch nicht so weit. "Aber sie kann zum ersten Mal das Schreien ihres Enkels hören. Das macht sie schon wunschlos glücklich", erzählt Schwaninger.
Nicht jeder ist von CI begeistert. "Viele Gehörlose sehen das Implantat als Angriff auf ihre eigene Kultur. Die wollen auch oft nicht, dass ihre gehörlosen Kinder das bekommen, weil sie Angst haben ‚sie zu verlieren'", berichtet Schwaninger. Bevor die Gebärdensprache allgemein akzeptiert wurde, zwang man Gehörlose auch oft aus Ignoranz zum Erlernen einer Sprache der Hörenden. Die meisten Gehörlosen sind -
entgegen früherer Annahmen - nicht stumm, könnten also sprechen, wenn sie sich und ihre Umgebung hören würden.
Vor allem Kindern versuchen die Chirurgen schnell zu helfen. Eine Meningitis (Hirnhautentzündung) etwa kann schlagartig zum Hörverlust führen. Wenn Eltern rechtzeitig reagieren, muss ihr Kind vielleicht mit nur wenigen Tagen oder Wochen Taubheit leben. Um ein in der hörenden Welt normales Aufwachsen und eine fast volle Integration ins Arbeitsleben zu ermöglichen, übernehmen die Krankenkassen die 40 000 Euro für die Operation eines Ohres. "Dann hört man allerdings nur mono. Beim zweiten Ohr sträuben sich die Kassen teilweise noch", sagt Schwaninger.
Über gesundheitspolitische, medizinische und technische Aspekte von Gehörverlust und dessen Behebung will der im August gegründete "Cochlear-Implant-Verband Hessen / Rhein-Main" nun aufklären, dessen Sprecher Schwaninger ist. Viele behinderte Menschen wüssten noch nichts von der neuen Technik, die versuchsweise erstmals Mitte der achtziger Jahre zum Einsatz kam.
Eine erste Informationsveranstaltung in der Frankfurter Uni-Klinik ist am Samstag, 12. Oktober. Schwaninger wird aber nicht dabei sein. Er ist dann in Würzburg, wo ihm das zweite CI eingesetzt wird. Die freudige Erregung in seiner Stimme ist unüberhörbar.
Die Veranstaltung des Cochlear-Implant-Verbandes Hessen/Rhein-Main beginnt um 15 Uhr im kleinen Hörsaal der HNO-Klinik des Universitäts-Klinikums am Theodor-Stern-Kai. Kontakt zum CIV/HRM über Michael Schwaninger, Telefon 0 61 06 / 7 49 71, Fax 15 03 93 62, E-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Von Peter Rutkowski
Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 10.10.2002 um 00:01:36 Uhr
Erscheinungsdatum 10.10.2002

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