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Hilfen für gehörlose Kinder - Frankfurter Neue Presse vom 25.09.2004

Hilfen für gehörlose Kinder

Von Frank Leth
 
Jeden Tag werden in Deutschland im Durchschnitt zwei gehörlose Kinder geboren. Für die Jungen und Mädchen bedeutet das, dass sie mit ihren Eltern nicht auf normalem Wege kommunizieren und ihre Lautsprache nicht richtig entwickeln können. Von einer unsichtbaren Behinderung spricht Gerlinde Gerkens vom Deutschen Gehörlosen Bund (DGB) in Kiel anlässlich des Tages der Gehörlosen am heutigen Samstag. Aus diesem Anlass wollen die Betroffenen auf die Probleme der bundesweit 80 000 Menschen aufmerksam machen, die gehörlos geboren wurden oder ihr Gehör noch vor dem Spracherwerb verloren haben.
 
Die Ursachen der Störung sind vielfältig: In Frage kommen genetische Defekte ebenso wie eine Hirnhautentzündung oder Infektionen etwa mit dem Rötelnvirus. Erkannt wird die Gehörlosigkeit oft erst, wenn das Kind bereits zwei Jahre alt ist, wie der geschäftsführende Direktor der HNO-Universitätsklinik in Freiburg, Roland Laszig, sagte: «Ein flächendeckendes Hörscreening bei Kindern wäre daher wünschenswert.» Denn bereits mit einfachen Tests für Neugeborene könnten solche Schäden frühzeitig erkannt werden.
 
«Je eher eine Gehörlosigkeit entdeckt wird, desto schneller können Therapie- und Fördermaßnahmen greifen», betont der Experte. Die Eltern müssen dann entscheiden, ob beispielsweise das Kind die Gebärdensprache lernen oder aber eine Innenohrprothese erhalten soll. Vor allem wenn die Sinneszellen im Innenohr nicht funktionstüchtig sind, empfiehlt sich das operative Einsetzen eines so genannten Cochlea Implantats (CI). Dabei übernehmen 16 bis 22 Elektroden die Aufgabe der 30 000 Hörnervenfasern. Der größte Therapieerfolg wird erreicht, wenn die Kinder bis zum zweiten Lebensjahr operiert werden.
 
Allerdings eignet sich das CI laut Laszig nicht für gehörlos geborene Jugendliche und Erwachsene, da in diesem Alter die Hörentwicklung des Gehirns bereits abgeschlossen ist. Bei gehörlos geborenen Kindern oder später ertaubten Erwachsenen helfe die Prothese aber: «90 Prozent der ertaubten Erwachsenen können mit dem CI wieder telefonieren, über 60 Prozent der CI-Kinder besuchen eine normale Schule oder einen Kindergarten», sagt Laszig.
 
Skeptisch über die Erfolgsaussichten des Implantats äußert sich allerdings die Gebärdensprachdolmetscherin Karin Kestner aus dem nordhessischen Guxhagen. Man wisse nicht, wie lange die CI-Kinder in einer Regelschule verbleiben könnten und wann sie wieder in eine Schwerhörigen-Einrichtung zurückgehen müssten. «Ich kann nur empfehlen, dass Eltern und ihre gehörlosen Kinder in jedem Fall auch die Gebärdensprache lernen sollten», sagt Kestner. Bereits im Alter von sechs Monaten könne man so mit einem Neugeborenen kommunizieren.
 
«Die Kinder sind auch nicht überfordert. Schließlich gibt es viele bilinguale Familien, in denen die Kinder ohne Probleme zweisprachig aufwachsen», sagt die Dolmetscherin. Die Gebärdensprache habe den Vorteil, dass den Familien damit jederzeit eine vollwertige Kommunikation zur Verfügung stehe, auch wenn das Implantat mal ausfalle und ersetzt werden müsse.
 
Nach Angaben Laszigs sind solche Reimplantate aber die Ausnahme. Im Regelfall funktionierten nach 15 bis 20 Jahren noch 98 Prozent aller Geräte. Die Statistik des Schweizerischen Cochlea-Implant-Registers kommt allerdings zu etwas anderen Ergebnissen: So wurden in der Schweiz seit 1977 genau 737 Implantate eingepflanzt. 13 Prozent der Patienten mussten ihr Gerät wieder operativ austauschen lassen. Technische Defekte traten in mehr als einem Drittel aller Fälle auf. Jede fünfte Reimplantation wurde auf Grund von Unfällen oder medizinischer Probleme notwendig.
 
Auch Laszig betont, dass das CI kein Wundermittel sei. So werde Musik von den Patienten oft als störend empfunden. Nebengeräusche erschwerten ohnehin das Hören. «Auch das räumliche und das Richtungshören sind eingeschränkt», sagt der Forscher. Es gebe auch Jugendliche und Heranwachsende, die mit der Prothese nicht zu Recht kämen und das Gerät abschalteten. «Eltern haben oft eine zu hohe Erwartungshaltung an die Innenohrprothese», sagt Laszig. Trotzdem habe das Kind mit einem Implantat die Chance, sprechen zu lernen und weitgehend normal zu hören.
 
 
 
Quelle: Frankfurter Neue Presse Samstag 25.09.04
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