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Wieder hören: Leben mit CI - Marburg News vom 30.08.2004

Wieder hören: Leben mit Cochlear-Implant

Marburg * (maf) 
 
"Es hat schon eine Weile gedauert, bis die Holzschublade "Holz" gesagt hat und nicht mehr "Klirr"." An die unbekannten Geräusche musste sich Margret Metz erst einmal gewöhnen. 
Seit einem Jahr ist die 45-Jährige Trägerin eines "Cochlear Implant" (CI). Dieses Gerät ist eine elektronische Hörhilfe für Menschen mit erheblichen Beeinträchtigungen des Hörvermögens. 
 
Ich treffe Margret Metz am Freitag (27. August) in der Weingalerie. Sie ist schon dort, als ich ankomme. Mit der Café-Besitzerin steht sie vor mir. "Frau Metz?" frage ich noch mal zur Sicherheit. Sie nickt zustimmend. Ich gehe auf sie zu, gebe ihr die Hand. Sie schlägt vor, dass wir uns weiter nach hinten in eine ruhige Ecke setzen. Kurz darauf sitzen wir uns an einem kleinen Tisch gegenüber. 
 
Ende 1989 ist Margret Metz ertaubt. Zu diesem Zeitpunkt war sie 31 Jahre alt. Nur noch ein paar tiefe Töne konnte sie hören. Zusätzlich zu dem CI-Gerät im rechten Ohr trägt sie links noch ein Hörgerät, das die tiefen Töne verstärken soll. Beim Musikhören hat sie also auf dem einen Ohr die Melodie, auf dem anderen die Bässe. 
 
"Sozusagen Dolby Surround", sage ich. Sie lacht: "So ungefähr." Dann nippt sie an ihrem Kaffee. Auch ich schlürfe meinen Latte Macchiato. Derweil fährt mein Gegenüber mit den Erklärungen fort. 
 
Hörgeräte sind immer die erste Wahl, solange noch ein Hörrest vorhanden ist. Erst ab einem gewissen Grad der Schwerhörigkeit wird das Einsetzen eines CI-Geräts in Erwägung gezogen. Das ist mit einer Operation und Nachsorgeuntersuchungen verbunden. 
 
Das CI besteht aus dem Implantat und dem getrennten Sprachprozessor mit Mikrofon. Ein winziger Computer bereitet die durch das Mikrofon am Ohr empfangenen Tonsignale auf. Als elektrische Impulse werden sie dann an den Hörnerv übermittelt.
 
Im Gegensatz zu Hörgeräten ermöglicht das CI das Hören fast aller Frequenzen. Die Frequenzen der Sprache liegen im mittleren Bereich. Das CI übermittelt auch diese Töne. Da das Implantat meist nur in ein Ohr eingesetzt wird, ist Sprache ausschließlich auf diesem Ohr zu hören. 
 
Ich kann das CI kaum sehen. Wie das Hörgerät ist auch der kleine Akustik-Computer kaum zu bemerken. Er ist hinter dem Ohr versteckt. So sieht man Margret Metz ihre Behinderung kaum an. Zu Anfang habe es nur auffällige Geräte in beige gegeben, berichtet sie. "Mittlerweile bieten die Firmen eine richtige Farbpalette an", sagt sie mit einem Lächeln. 
 
Cochlear-Implantate werden mittlerweile auch bei hochgradig Schwerhörigen eingesetzt. Voraussetzung für das CI ist das Funktionieren des Hörnervs. Dabei ist von großer Bedeutung, ob die Hörschädigung vor oder nach dem Spracherwerb eingetreten ist. Ist ein Mensch von Geburt an taub, so fehlt ihm als Erwachsenem oft die Grundvoraussetzung für eine Zuordnung von Geräuschen. Es ist zumindest sehr hilfreich, wenn ein Gehörloser noch Erinnerungen an das Hören besitzt, bevor ihm das CI eingesetzt wird. Für Spätertaubte ist das CI daher eine revolutionäre Technik. 
 
Die hohen CI-Töne seien anfangs sehr gewöhnungsbedürftig, erklärt Metz. Menschliche Stimmen klängen wie die eines "Roboters von einem anderen Stern". Ob ich mich in ihren Ohren wohl auch so blechern anhöre? 
 
In den ersten Wochen oder Monaten verbessert sich das Hören dann meist rasant. Jedoch macht jeder CI-Träger unterschiedliche Erfahrungen. Am Anfang sind um Hörerfolge zu erzielen, einige Einstellungen des Geräts durch einen Techniker nötig. 
 
Ohne CI seien Männerstimmen leichter verständlich als Frauenstimmen. Kinderstimmen habe sie gar nicht hören können. Laute und schrille Geräusche - wie die von Kindern - seien auch jetzt noch besonders unangenehm, berichtet Metz. 
 
Die Feuerwehr fährt mit lautem Martinshorn-Geheul vorbei. Sie verzieht das Gesicht. 
Nur bei Hintergrundlärm muss Margret Metz noch von den Lippen absehen, oder wenn mehrere Leute durcheinander reden. Bei Open Air-Konzerten hat sie daher sogar einen Vorteil gegenüber Menschen mit gutem Gehör. Ab einer gewissen Lautstärke haben die Probleme, einander zu verstehen. Die CI-Trägerin konzentriert sich dann einfach auf Mimik und Mundbewegungen. Auf diese Art kann sie auch Filme verfolgen. Ihre nächste Herausforderung wird die Comic-Verfilmung "Garfield" sein. 
 
"Das Lippenabsehen fällt dann wohl weg", meint die Diplom-Pädagogin. "Aus Faulheit" schalte sie bei Fernsehfilmen manchmal die Untertitel ein. Die Nachrichten schaue sie ganz ohne Untertitel. 
 
Telefonieren war ohne CI nicht möglich. Telefonieren zu können, ist für viele Hörbehinderte jedoch das "Wunschziel Nummer 1". Vertraute Menschen sind für die meisten dabei viel leichter zu verstehen als Fremde. Schwierig wird es allerdings, wenn jemand "nuschelt" oder Silben verschluckt. 
 
Ich bemühe mich, besonders deutlich zu sprechen. Bis jetzt hatte ich allerdings nicht das Gefühl, dass mein Gegenüber irgendetwas nicht mitbekommen hätte. Selbst die leise Musik im Hintergrund ist Margret Metz nicht entgangen. 
 
Viele Hörbehinderte meiden Musik, nachdem ihnen ein CI eingesetzt worden ist. Für Spätertaubte klingt sie durch das CI anders als die Musik aus der Erinnerung. 
Die "neue" Musik klinge anfangs sehr schräg und verdiene eher die Bezeichnung "Geräuschbrei", erinnert sich Metz. Um Musik genießen zu können, dauere es etwas länger als bei der Sprache. Am Angenehmsten seien auch hier die tieferen Töne. 
Spätertaubte haben jedoch den Vorteil, die Töne aus dem CI mit den eigenen Erinnerungen vergleichen zu können. Das Gehirn ist sogar in der Lage, die CI-Töne an diese Erinnerungen anzugleichen. Musik wird dadurch mit der Zeit melodischer. 
 
Es sei daher sehr wichtig, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. 
Deshalb arbeitet Margret Metz in der neugegründeten "CI-Selbsthilfegruppe Mittelhessen" mit. Durch diese Tätigkeit ist auch unser Gespräch zustande gekommen. 
Ihre Behinderung merkt man Margret Metz kaum an. Einmal nimmt sie jedoch den äußeren Teil des CI aus dem Ohr, um ihn mir zu zeigen. Ohne nachzudenken, rede ich weiter, bekomme aber keine Antwort. Margret Metz hat meinen Redefluss nicht bemerkt, weil sie mir gerade nicht auf die Lippen schaut.
 
Quelle: Marburg News vom 30.08.2004
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