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Hören lernen mit CI als Studienpatientin

Als ich am 15. Juni 2004 in der MHH voller Angst und Anspannung in den OP gefahren wurde, konnte ich nicht wissen, wie gut ich mit einem CI wieder hören würde; niemand konnte mir eine solche Prognose stellen. Ich habe viel Glück gehabt...

Der Entschluss zu diesem Schritt hatte vier lange Jahre gebraucht, eine Zeit, in der meine psychische Belastung stetig größer wurde, weil das Hören mit Hörgeräten seit 24 Jahren - nach Meningitis im Kindesalter- immer anstrengender wurde und schließlich nicht mehr all-tagstauglich war. Zwei Monate vor der Operation bot mir die HNO-Klinik der MHH die Teilnahme an einer Studie der Firma Cochlear an. Ich stimmte zu, weil ich das neueste System mit verbesserten Funktionen bekommen würde, eingestellt von anerkannten Experten in weit mehr als den regulären Nachsorgeterminen, aber unterschrieben hatte ich noch nicht. Würde das System eines Mitbewerbers vielleicht für mich noch besser sein? Den Ausschlag gab am Vorabend der OP der Operateur, der bei meiner Anamnese die Cochlear-Elektrode empfahl.

Ich gab daraufhin mein schriftliches Einverständnis, an der "klinischen Validierung des RP8-Systems (System 4)" teilzunehmen, einem Vergleich der automatischen und manuellen NRT-Messungen mit dem Freedom-System: Nucleus CI24RE-Implantat mit der Contour-Elektrode und Custom Sound-Software. Die Studie erforderte einen Termin pro Monat (die üblichen Nachsorgetermine wurden eingegliedert), zu dem ich über eine Distanz von 200 km an- und wieder abreiste. Der kürzeste Termin dauerte zwei, der längste sieben Stunden, wobei ich kaum Zeit für Essen und Trinken hatte, aber immer mit Spaß und hochmotiviert bei der Sache war. Das Ganze zog sich ziemlich genau über ein Jahr hin, und das war exakt der Zeitraum, den ich mir selbst gesetzt hatte, um mit meinem CI wieder hören zu lernen.

Die fünftägige stationäre Erstanpassung mit dem Esprit 3G - den Freedom gab es noch nicht - einen Monat nach der Implantation war eine spannende und recht anstrengende Zeit, in der die Wasserhähne klingelten und mir das Vokal- und Konsonantentraining der Pädagogin - "biid/baad/buud"- schwer zu schaffen machte, aber ich hatte eine Mitstreiterin, die auch an der Studie teilnahm und ähnlich ehrgeizig wie ich war, meine später so genannte "Sound-sistah", die mit mir ins "freie Feld", sprich in die hannoversche City fuhr, wo wir jede Menge Höreindrücke miteinander verglichen. Die Einstellungen erfolgten durch Prof. Battmer. Ich hatte - und habe - volles Vertrauen in ihn, war ich doch anfangs wie ein unbeschriebenes Blatt mit keinerlei Vorstellung davon, welche Sprachverarbeitungsprogramme aufgespielt wurden. Die kam erst später durch das Verständnis meines Mannes, seines Zeichens Ingenieur, der mir stets mit Rat und Tat zur Seite steht.

Am fünften Tag verstand ich zweistellige Zahlen zu 100% und Sätze in Ruhe zu 62%, ich telefonierte mit der Pädagogin und nach Hause, dass ich im Laufe des Tages zurückkäme. Es war mein 40. Geburtstag.

In den folgenden vier Wochen trainierte ich für mich allein: Handy, Anrufbeantworter abhören, Hörbücher, Kinobesuch, Autoradiosprecher und Kinderkassetten im Auto verstehen - bis zum ersten ambulanten Studientermin klappte das alles schon, nur Musik war noch schwierig. Wenn meine Kinder auf ihren Instrumenten übten - Klavier und Gitarre -, dann klang das noch nicht so gut wie früher mit Hörgeräten, auch hohe Kinderstimmen fand ich problematisch.

Am 31. August 2004 erschien ich zur Studie. Eine Ingenieurin machte eine Stunde lang Hörtests mit mir, die mich fortan am meisten anstrengten, aber auch mit guten Ergebnissen belohnten: Ich verstand Sätze zu 97% und Einsilber bei 70dB zu 85%! In der Audiologie erfolgten elektrophysiologische Messungen, denn ein Ziel der Studie war die Überprüfung der MAP-Optimierung durch neue NRT-Funktionen, d.h. um schnellere und genauere NRT-Messungen durchführen zu können mit selbstständiger Bestimmung der NRT-Schwellen. Ich selbst empfand die diversen Messungen nicht als unangenehm, es waren oft lautere Geräusche in schneller Abfolge, die mich manchmal eher belustigten und an einen schrillenden mechanischen Wecker erinnerten. Volle Konzentration erforderten die unteren Schwellenwerte der Tonhöhenbestimmungen; den jeweiligen Ton so gerade eben noch zu hören, war sehr schwer für mich. Meist wurde in einer Sitzung die Sprachkodierungsstrategie umprogrammiert, die ich dann ein paar Wochen testen musste, manchmal auch die bestehende optimiert. Ich hielt meine persönlichen Eindrücke immer schriftlich fest, um den Audiologen ein gutes Feedback geben zu können.

Am 17. September wurde mir der Prototyp des Freedom angepasst, damals noch SP12 genannt. Soweit es die Größe, das Aussehen und die Handhabung betraf, war ich skeptisch - diese "omabeige Banane" mit einem recht langen Spulenkabel sollte ich gegen den schicken Esprit 3G tauschen müssen? Meine "Soundsistah" und ich haben ganze Meckermängellisten erstellt, die z.T. an die Entwickler von Cochlear weitergegeben wurden... Aber die Technik gab mir in meiner persönlichen Aufwärtsspirale einen großen Schub nach oben: Sprache wurde lauter und deutlicher bei ebenfalls lauteren Nebengeräuschen, vor allem tiefe Töne, in einem breiter gestreuten Hörspektrum, bedingt durch den größeren Eingangsdynamikbereich des Sprachprozessors (SP). Zu Hause hörte ich Uhren ticken, gedämpfte Verkehrsgeräusche durch geschlossene Fenster und weit entfernt läutende Kirchenglocken. Eines Tages hörte ich beim Autofahren einen Dauerklingelton und hielt an, um in meiner Tasche irritiert nach dem Handy zu kramen. Nach ein paar Minuten kam von hinten ein Rettungswagen angefahren... Kam mir der "Handyklingelton" doch fremd vor!

Bei den regelmäßig folgenden Studienterminen berichtete ich über meine Höreindrücke und über unterschiedliche Batterielaufzeiten von zwei bis fünf Tagen in Abhängigkeit von der Impulsrate. Während der Studie wurde ACE als Sprachverarbeitungsstrategie mit anfangs 12000 Impulsen getestet, später mit 5000 und dem Maximum von 31500. Ich musste darüber einen Fragenkatalog beantworten und die verschiedenen Programme in definierten Situationen beurteilen. "Sie sitzen im Auto an einer stark befahrenen Kreuzung und unterhalten sich mit den hinteren Insassen bei geöffneten Fenstern". In der Praxis regnete es kräftig herein und viel verstanden habe ich nicht, aber statt solcher Extremsituationen hatte ich für mich relevantere Alltagssituationen ausgesucht und darin die unterschiedlichen Stimulationsraten geprüft. Meine Notizen darüber wurden dem Studienleiter freiwillig zur Verfügung gestellt.

Im März 2005 wurde ich von Cochlear zur Markteinführung eingeladen, vor internationalem Fachpublikum eine Präsentation über das neue System aus meiner Sicht zu halten. Darüber hinaus wurde an mir ein automatisches Mapping demonstriert, bei dem die NRT-Messung mit fünf über das Array verteilten Elektroden nur noch sieben Minuten dauerte. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir ein weiter entwickelter Prototyp angepasst, entsprechend dem eigentlichen Freedom, in dem das zweite Mikrofon für fokussiertes Hören im Störschall eingebaut war. Ich konnte nun "SmartSound Beam" testen. Das funktionierte vor Ort in einer überfüllten Skihütte ganz gut.

Gegen Ende der Studie wurden alle drei Programme gleichzeitig aufgespielt, also ACE 5000, ACE 12000 und ACE 31500, wobei mir die Programmplätze nicht bekannt gegeben wurden, um zu einer objektiven Entscheidung zu gelangen. Durch fleißiges Hin- und Herschalten musste ich herausfinden, mit welcher Stimulationsrate ich am besten höre und verstehe. Es waren keine signifikanten Unterschiede, aber schon früher hatte ich bemerkt, dass mir der Klang im ACE 31500 am besten gefiel, aus meiner Hörerinnerung heraus schien er mir am natürlichsten.

Mein SP ist zwar ein Sprach- und kein Musikprozessor, aber ich lernte, Musik wieder zu genießen, sei es über Stereoanlage, IPod oder auf Livekonzerten mit Rock, Jazz und Blues. Zum Jahrestermin verstand ich Sätze mit 10dB Störgeräusch zu 92,5%. Den Prototypen tauschte ich gegen meinen eigenen SP in der Wunschfarbe silber.

Stillstand ist Rückschritt. Im Januar 2006 bin ich nach elf Jahren Pause in meinen Beruf als MTRA zurückgekehrt. Ohne CI wäre das nicht möglich.
Ich bedanke mich bei allen, die mich unterstützt haben.

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