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Vom „Hä?“ zum „…das hab ich gehört!“

„Blindheit trennt von den Dingen, Taubheit von den Menschen“ (Zitat Helen Keller)

Mit diesem Satz beschreibt Helen Keller sehr treffend wohl nicht nur meine Sicht auf die Welt der Gehörlosigkeit, sondern die vieler von Gehörlosigkeit Betroffenen. Aufgewachsen bin ich in einer Familie bei der das Wörtchen „Hä?“ zur Tagesordnung gehört/gehörte. Großmutter, Mutter, Tante, Cousine und Cousin, allesamt schwerhörig bis an Taubheit grenzend /gehörlos. Meine Cousine und ich sind jetzt die 3. Generation, die beidseitig mit einem Cochlea Implantat versorgt wurden. Die OP war bei uns allen ein voller Erfolg, keiner bereut seine Entscheidung. Durch diesen wichtigen Schritt haben wir alle ein sehr GROSSES Stück an Lebensqualität und Selbstständigkeit gewonnen.

Doch es war nicht immer leicht in einer Familie aufzuwachsen, in der nahezu niemand, außer meinem Vater, etwas hört. Sicher, es gab/gibt die lustigen Momente in der „Rose“ mit „Hose“ verwechselt wird. Aber es gibt auch Augenblicke, die die Kehrseite eines solchen Handicaps aufzeigen. Meine Mutter konnte mit ihrer letzten Hörgeräteversorgung nicht telefonieren und nicht an Gruppendiskussionen teilnehmen, sie war „wohl oder übel“ auf ihren Mann angewiesen. Ich persönlich schätze meinen Vater dafür sehr, er ist und war immer geduldig mit uns beiden. Ich bin stolz auf meine Mutter, dank der CI’s konnte sie sich ihre Selbstständigkeit zurückholen.

Für mich als Kind war der Werdegang zum Implantat und der Weg danach sehr spannend. Meine Mutter hatte als Erste den Mut in der Familie, sich operieren zu lassen. Danach ging es zu wie bei den Lemmingen (:D). Das schwerste bei Ihr war damals noch der Kampf mit der Krankenkasse. Man muss es sich vorstellen, bis kurz vor der Operation (beim ersten CI) wollte diese nicht bezahlen. Neben der Angst vor der OP eine zusätzliche Belastung. Nachdem endlich das „Go“ der Krankenkasse erfolgte, kam das Zittern und Hoffen. Die Operation verlief ausgezeichnet. Die ersten Gehversuche mit dem Implantat (damals noch 4-6 Wochen nach der OP), waren auf dem Nachhauseweg im Auto. Ich hatte mir eine Liste auf einem Stück Pappe zusammengeschrieben mit Worten, die für meine Mutter schwierig waren. An ein Wort kann ich mich heute noch genau erinnern, denn das war „Fenstergardine“. Mich erfüllte es voller Stolz als meine Mutter, die auf dem Beifahrersitz saß (ich hinter ihr auf dem Rücksitz), das Wort verstanden hatte. Die lauten Umgebungsgeräusche von Auto, Radio und Co. störten und hinderten sie nicht mehr. Mit den Hörgeräten wäre das unmöglich gewesen!

Als der Rest der Familie miterlebte, wie viel besser es meiner Mutter mit dem implantierten Ohr ging, zogen sie nach. Es war nun möglich an Geburtstagen, Weihnachten oder bei anderen Familienfeiern, sich normal zu unterhalten. Naja, vielleicht nicht ganz „normal“. Es ist heute noch immer sehr amüsant auf unseren Feiern. Aber nicht, weil jemand „Hose“ statt „Rose“ versteht, sondern weil wir uns alle EIGENTLICH normal unterhalten KÖNNTEN. Bei uns sieht es aber so aus: auf die anderen wird keine Rücksicht genommen. Von einem Tischende zum anderen werden Unterhaltungen „geschrien“. Sehr unterhaltsam! Man sollte meinen durch die eigene Schwerhörig-/Gehörlosigkeit seien wir sensibilisiert. Nichts da! Innerhalb der Familie wird, wie man auf hessisch so schön sagt, „einfach druff los gebabbelt“.

Mein eigener Gang zu einer beidseitigen Cochlea Implantat Versorgung ging schnell. Nach meiner Berufsabschlussprüfung vereinbarten wir im November 2016 einen Termin in der Uniklinik Frankfurt zur Voruntersuchung. Beim nächsten Besuch wurde mir ein OP-Termin im Dezember 2016 angeboten. Selbstverständlich zögerte ich nicht lange und nahm diesen an. Die Entscheidung, mich operieren zu lassen und damit das Risiko einzugehen, mein zu diesem Zeitpunkt noch vorhandenes Resthörvermögen zu verlieren, fiel mir ziemlich leicht. Zum einen hatte ich vier positiv Beispiele in der Familie, zum anderen dachte ich mir, schlimmer kann es nicht werden. Ich hatte viel Unterstützung von meinen Eltern und auch von meinem Mann. Das vereinfachte die große Entscheidung, denn es ist immerhin ein Eingriff am Kopf.

Am Tag meiner Operation war ich das reinste Nervenbündel. Zu warten bis man in die OP-Vorbereitung geschoben wird, ist grausam. Ich saß in dem OP-Kittel auf dem Bett und habe mir die Augen ausgeweint. Das ganze Prozedere dauerte bei mir etwas länger als üblich, aber auch bei mir verlief es sehr gut. Nach dem Aufwachen war das erste was ich fühlte, Hunger! Meine Eltern und mein Mann warteten mit Essen auf mich. Auch wenn ich noch leicht benommen von der Narkose war, bekam ich mit, dass meine Mutter Tränen in den Augen hatte. Alle waren überglücklich, dass ich die Operation so gut überstanden hatte. Ich für meinen Teil, war einfach froh wieder in die Gesichter der Menschen zu schauen, die ich am meisten liebe.

Die Nachuntersuchung verlief leider nicht ganz so wie ich mir es vorgestellt hatte. Frisch operiert, wurde ich von den Schwestern, vollkommen gehörlos, alleine zum Röntgen geschickt. Das Gebäude, in dem die Aufnahmen gemacht werden, ist ein ganzes Stück von der Poliklinik entfernt. Auf dem Gelände der Frankfurter Uniklinik fahren Autos, die ich vollkommen gehörlos, nicht hätte kommen hören. Etwas gefährlich, wenn man mich fragt. Das Personal war vielleicht nicht gerade das freundlichste, aber bei Problemen stets parat. Deshalb würde ich mich jederzeit wieder für die Frankfurter Uniklinik entscheiden. Dem Tag meiner Entlassung fieberte ich entgegen, nach drei Tagen durfte ich endlich nach Hause.

Die Uniklinik bot mir vor der Operation die Frühanpassung (Anpassung einige Tage nach der OP) an. Diese Art der Anpassung war für mich genau das Richtige. So wurde mir die Möglichkeit geboten, schneller wieder in das Berufs- und Sozialleben einzusteigen. Eine Woche nach dem Eingriff war es dann soweit, meine Erstanpassung. Die Erwartungen lagen natürlich sehr hoch. Durch meine Mutter, Oma, Tante und Cousine wusste ich was auf mich zukam. Die Technikerin schloss mich am Computer an und stellte mich das erste Mal “online“. Das erste was ich gehört habe waren Töne, gleichmäßige Töne im Einklang der Geräusche. Manch einer kann sich das vielleicht nicht vorstellen, aber ich war überglücklich einfach nur einen Ton hören zu können. Es mischte sich aber auch das Gefühl der Traurigkeit ein, da ich das gesprochene Wort der Technikerin nicht verstehen konnte. Nur durch Ablesen der Lippen konnte ich dem Gespräch folgen. Daher ein Tipp von mir, lest keine Erfahrungsberichte über die Erstanpassung. Sollte es bei einem selbst nämlich nicht so klappen, ist man Ende nur deprimiert.

Der Hörtest verlief sehr gut, aber der Zahlentest vermieste mir meinen Tag. Keine einzige Zahl kam bei mir an. Die Töne änderten sich auch im weiteren Tagesverlauf nicht, gesprochene Worte waren nur hohe und tiefe Töne. Die sehnlichst erwünschte „Mickey Mouse“ ließ auf sich warten. Am Abend allerdings, als ich das CI schon verflucht hatte, konnte ich das erste Mal eine Stimme vernehmen. Es klang wirklich sehr witzig, dieses Gequietsche. Für mich war es ein volles Erfolgserlebnis. Die nächsten Anpassungen verliefen reibungslos. Zuhause trainierte ich mit meinen Mann und auch alleine meine Ohren. Durch üben, üben, üben, konnte ich sehr schnell wieder am Leben teilhaben.

Selbstverständlich nahm ich auch das Angebot der ambulanten Reha beim CIC Rhein Main an. Hier lernte ich mich zu konzentrieren, um auch bei lauten Umgebungsgeräuschen einem Gespräch gut folgen zu können. Laute, die sehr ähnlich klingen, wie „M, N“, kann ich nun besser unterscheiden. Heute ist für mich telefonieren kein Problem, Gruppengesprächen kann ich ohne Schwierigkeiten folgen, Unterhaltungen in lauten Umgebungen und Musik hören und verstehen ist eine Selbstverständlichkeit meines Alltags geworden. Endlich fühle ich mich wieder wie ein selbstständiger, selbstbewusster Mensch und als Teil der Gesellschaft.

Ich würde mich jederzeit wieder für diesen Schritt entscheiden, es war das Beste was mir passieren konnte!

Juli 2017

Ann-Kathrin Lamm

  • Erstellt am .