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Erfahrungsbericht (M. Cammann)

Erinnerungen und Erlebnisse einer betroffenen Angehörigen eines CI-Implantierten 

 
Heute, bin ich, aus der Sicht einer Mitbetroffenen gesehen, wieder in einer sehr guten Position.
 
Wenn ich an die zurückliegenden Jahre vor der Implantation denke, bin ich froh und dankbar über die Fortschritte in der modernen Medizin. Vor allen Dingen natürlich auf dem mikrochirurgischem Sektor wie z.B. der Cochlear-Implantation.
 
 
Mein Mann lebte zum Zeitpunkt unserer Heirat schon seit langen Jahren mit einem Hörverlust von ca. 80 %. Durch einen Unfall verlor er nach und nach auch noch sein Resthörvermögen. Er hatte vor seiner Implantation einen Hörverlust von 98 %.
 
 
Mit diesem Hörverlust gingen die üblichen Merkmale eines fast ertaubten Menschen einher. Der Kontakt zu Fremden, Behörden, Ärzten, in den Geschäften gestaltete sich immer schwieriger und wurde zum Schluss allein so gut wie unmöglich. Vor allen Dingen, wenn es sich um einen ansonsten sehr lebhaften und aufgeschlossenen Mann in der Mitte seines Lebens gehandelt hatte. Es fiel meinem Mann sichtlich schwer immer wieder, selbst die nächsten Angehörigen, um Hilfe zu bitten. Er reagierte immer aggressiver und misstrauischer, zog sich ständig mehr und mehr in sich zurück. Der Kontakt zu seinen langjährigen Freunden - teilweise dauerte diese Freundschaft schon über 45 Jahre an - wurde immer spärlicher und verlor sich fast gänzlich. Mein Mann drohte in der Stille zu versinken.
 
Trotz aller Bemühungen, seitens seiner Angehörigen und auch der Freunde - die ja über seine Behinderung unterrichtet waren, konnte diese Entwicklung nicht gestoppt werden. Er trug zwar zwei Hörgeräte, diese verursachten aber nur noch laute Geräusche und brachten keine Möglichkeit Sprache und Geräusche zu verstehen oder zu unterscheiden. 
 
Durch seine Behinderung schloss sich mein Mann selbst bzw. seine Umwelt ihn immer mehr vom normalen Leben aus. Lippenablesen hatte er niemals gelernt. Das wenige was er auf diese Art und Weise aufnehmen konnte, hatte er sich im Umgang mit vertrauten Personen selbst beigebracht. Natürlich traten dadurch ständig große Missverständnisse auf und es kam teilweise sogar zu schweren Zornausbrüchen. Die erforderliche Leistungen im Berufsleben konnten selbstverständlich auch nicht mehr erbracht werden. 
 
 
Wir hatten uns schon mehrfach nach alternativen Möglichkeiten des Hörens bzw. Verstehens erkundigt und versucht, uns über die neuen Erkenntnisse der Medizin auf dem Laufenden zu halten. Allerdings hatte mein Mann gerade auf dem medizinischen Sektor sehr schlechte Erfahrungen mit Ärzten und Pflegepersonal gemacht und keinerlei Vertrauen mehr in die ärztliche Kunst. 
 
In einer Tageszeitung lasen wir dann von einer Cochlear-Implantation. 
 
Darunter konnten wir uns zum damaligen Zeitpunkt nicht allzu viel vorstellen. Dann vereinbarten wir einen längeren Termin beim behandelnden Ohrenarzt. Nahmen den Artikel mit und diskutierten in einem sehr langen und ausführlichem Beratungsgespräch die Möglichkeiten einer solchen Behandlung. Sein behandelnder Arzt stellte meinem Mann die Möglichkeit dar und bestätigte ihm, das die Operationsmethode mittlerweile schon gut ausgereift sei. Er solle ruhig auf einem Ohr doch eine solche Implantation vornehmen lassen.
 
Zuerst überwog immer noch die Angst. Mittlerweile wurde die Hörprobleme so schlimm, dass er seinen Beruf aufgeben musste und ich in meinen Beruf zurückgegangen bin. Dadurch war er natürlich sehr auf sich allein angewiesen. 
 
Mit diesem Zustand kam er nicht mehr zurecht. Er nahm die Klingel nicht mehr wahr, konnte nicht telefonieren, nichts mehr allein erledigen. Er kam sich total hilflos und überflüssig vor.
 
Aus all diesen Gründen entschloss er sich dann - nach sehr langen Zweifeln und qualvollen Erfahrungen und nach gutem Zureden meinerseits und seitens seiner Mutter zuerst einmal einen Test durchführen zu lassen.
 
Wir meldeten uns zu einer Untersuchung in der Uniklinik Frankfurt an. Hier wurde mein Mann von Herrn Dr. Kiefer betreut. Es fand eine ausführliche Untersuchung, eine psychologische Beratung statt und ein ausführliches Gespräch mit einem Sprachtherapeuten des CIC Friedberg. 
 
Es quälten ihn immer noch sehr starke Zweifel, denn es wurde ihm natürlich die Chancen aber auch die entsprechenden Risiken dargestellt. Starke Selbstzweifel, Depressionen, Minderwertigkeitskomplexe, schwere Misstrauensanfälle waren die Folge. Gleichzeitig aber auch ein totaler Rückzug in sich selbst. 
 
Seine Mutter und ich versuchten ihm immer wieder Mut zu machen. Eine Entscheidung konnte wir jedoch nicht für ihn fällen. 
 
Wenn man sich zu einer solcher Operation entschließt, dann muss man selbst auch voll dahinter stehen und zuerst einmal mit sich alleine ins Reine kommen.
 
Ich habe meinem Mann in dieser Zeit klargemacht, dass ich voll zu seiner Entscheidung - gleich welcher Art diese ausfallen würden - stehe und er mit meiner Unterstützung in jedem Fall rechnen könne. Die Entscheidung aber, ob Operation oder nicht, könne ich ihm aber nicht abnehmen. Diese - ich glaube bis dahin wohl schwerste Entscheidung seines Lebens - müsse er ganz alleine fällen und dann auch die Folgen tragen. 
 
In vielen Diskussionen und Gesprächen - teilweise auch mit seiner Mutter - entschloss mein Mann sich dann zur Operation. Wir sagten uns, falls etwas schief gehen sollte, hätte er ja immer noch ein Ohr und müsste dann halt versuchen mit einem Hörgerät und evtl. einem Kurs zum Lippenablesen weiterhin im Leben zurechtzukommen. 
 
Mein Mann hatte sich die Schmerzen und den Krankenhausaufenthalt sehr viel schlimmer vorgestellt als er dann wirklich war.
 
 
Der damalige Oberarzt, Professor Desolvre und Herr Dr. Kiefer leisteten großartige Arbeit und wir sind Ihnen bis heute für die Unterstützung, den Zuspruch, die Beratung und letztendlich der Ausführung der Operation sehr dankbar.
 
 
Sie alle, die hierher kommen und Hilfe suchen, haben diese Zweifel, die Depressionen, die Verlorenheit am eigenen Leib erfahren und wissen wie man sich fühlt.
 
Ihnen allen kann ich auch heute wieder nur sagen, die Entscheidung zu einem solchen Schritt muss von IHNEN ganz allein kommen und Ihre Angehörigen kann ich nur bitten, sie zu unterstützen und Ihnen Halt und Kraft zu geben und ebenfalls klar erkenntlich hinter ihnen zu stehen.
 
 
Sie dürfen nun nicht glauben, dass mein Mann sofort hören konnte. Nein. Nein, das war wirklich nicht so. Denn jetzt ging es ja erst eigentlich wieder los. Man musste alles von vorne neu lernen. Nicht nur das Sprechen, das Hören. Vor allen Dingen musste man wieder lernen zu Verstehen. 
 
Die ersten 6 Wochen sollten eine Phase des sogenannten unkontrollierten Hörens sein und des sich Eingewöhnens. Danach sollte dann eine Einstellung und das Sprachtraining in Friedberg folgen.
 
 
In der Folgezeit merkte ich - ich hatte mir, nachdem mein Mann aus dem Krankenhaus entlassen worden war, Urlaub genommen - das er hin und wieder aufmerkte und manchmal den Kopf schüttelte, als wenn ihn etwas störte. Dann sagte er auf einmal:
 
Das ist alles so fruchtbar laut und ich weis gar nicht was das ist. Ich fühle mich so unsicher.
 
Ich hab dann überlegt wie ich ihm helfen könnte. Mein Mann trug immer noch sein zweites Hörgerät. Als Ergebnis dieser Überlegungen habe ich dann zu meinem Man gesagt: Das was Du jetzt alles wahrnimmst und hörst, ist für Dich zuerst einmal vollkommen unverständlicher Geräuschsalat. Für mich aber - als sogenannte Normalhörende - vollkommen in Ordnung und ich weiss nicht, was er hört, verstehen kann und was er alles jetzt über seinen Sprachprozessor wahrnimmt. 
 
Er fing dann regulär an mich mit Fragen zu löchern und wollte wissen, was das ist, was er hört. Ich habe ihm dann klargemacht, das er mir diese Dinge genau schildern oder vormachen muss, damit ich ihm dann sagen kann, was er jetzt gerade gehört hat.
 
Also fing jetzt für uns beide ein mehr oder weniger "lustiges" Hin- und Her an. Wir mussten uns ja erst beide in diese Situation hineinfinden. So schilderte er mir einmal mehr schlecht als recht pfeifend was er wahrnahm. Ich konnte ihm dann erklären um was es sich handelte. Wir waren in unserem Garten draußen und auf der Gartenhütte des Nachbarn saß eine Amsel, die sich mit einer anderen Amsel, die in unserem Fliederbaum saß, unterhielt. Oder dann ein anderes Mal, lief mein Mann durch die ganze Wohnung und suchte überall nach einem Geräusch was er hörte. Ich selber nahm diese Geräusch schon gar nicht mehr wahr. Es handelte sich um ein Ticken, wie er sagte. Da wir aber keine Uhr oder etwas ähnlich tickendes im Wohnzimmer hatten, dauerte es einige Zeit, bis er dann eines Tages ganz glücklich kam und sagte, "Guck mal, ich glaub das Ticken kommt vor hier." Also lauschte ich ganz aufmerksam und konnte es dann auch hören. Für mich war es ja ganz normal und ich nahm es schon gar mehr wahr und zwar das ganz, ganz leise Ticken einer Funkuhr in der Küche. Ein anderes Mal, war es der Kühlschrank der ansprang oder das Laufen eines Wasserhahnes.
 
Über all diese Erlebnisse war mein Mann gleichzeitig sehr froh und glücklich, und andererseits störte ihn aber die Lautstärke der ungewohnten Umgebungsgeräusche sehr.
 
Wir haben ihm dann klargemacht, dass er sich erst langsam daran gewöhnen müsse und er besser nicht den ganzen Tag das Gerät tragen solle, sondern es täglich etwas länger tragen solle. So gewöhnte er sich recht gut ein.
 
 
Nach ca. 6 Wochen begann dann das Hörtraining in Friedberg. Jeden Tag lernte er dort etwas Neues. Als erstes konnte er alle Zahlen hören und auch verstehen. Dies war für ihn ein großes Erfolgserlebnis. Zum Glück ging es auch gut weiter. Natürlich gab es auch immer wieder einmal kleine Rückschläge und Missverständnisse. Im großen und ganzen aber, überwog der Erfolg. 
 
Mein Mann bekam wieder Freunde am Leben.
 
 
Er wurde freier, aufgeschlossener und zeigte Interesse an allen Dinge des täglichen, des politischen, des kulturellen Lebens. 
 
Bei einem seiner Einstellungstermine in der Uniklinik erfuhr er dann von der Selbsthilfegruppe der CI-Träger. Er nahm gerne an den Gesprächsrunden teil und war auch immer bereit anderen zu helfen und sie zu beraten.
 
 
Dann bekam er durch ein Zusatzgerät (es wurde vom Hersteller seines Gerätes zur Verfügung gestellt) die Möglichkeit, wieder an allen Fernsehsendungen, speziell auch an politischen Diskussionen, Natur- und Tiersendungen (die ja alle nicht untertitelt waren) teilzunehmen und zuzuhören. Mit diesem Zusatzgerät konnte er einen Anschluss zwischen dem Fernseher und seinem Sprachprozessor schaffen. 
 
Seine Interessenspalette wurde immer viel breiter und qualifizierter. Er konnte wieder ins Theater, ins Kino gehen, sich mit Freunden zu einem Schwätzchen in der Kneipe treffen. 
 
Durch all dies lernte mein Mann wieder gut zu verstehen und zu sprechen, auch die schwierigsten Wort. Er findet sich sogar heute wieder gut im Ausland allein zurecht und traut sich allein zu fliegen. 
 
Alle seine Freunde bestätigen ihm, das er heute dem alten Volker wieder sehr nahe kommt. 
 
Ich selbst kann nur bestätigen, dass mein Mann, den sich als Hörbehinderten kennen- und lieben lernte, sich sehr, sehr stark zu seinem Vorteil verändert hat. 
 
Er traut sich heute wieder alles auch alleine zu und wenn er einmal etwas nicht gleich versteht, dann ist er heute in seinem Wesen so frei und offen, und gibt dies zu und bittet seine Mitmenschen, doch bitte noch einmal zu wiederholen was sie gesagt haben. Er gibt ihnen dann auch gleichzeitige eine kleine Einführung in seine Behinderung und ist stolz auf sein wieder neu erlerntes und erworbenes Wissen.
 
 
Heute steht er nun als der derzeitige 1. Vorsitzende des neu gegründeten Cochlear-Implant-Verbandes Hessen Rhein-Main (als Nachfolger der CI-Selbsthilfegruppe Frankfurt) vor ihnen und nimmt mit Stolz und Eifer seine neuen Aufgaben wahr und versucht die Interessen seiner Leidensgenossenschaft nach besten Kräften wahrzunehmen und zu vertreten.
 
 
Beide sagen wir heute, Gott sei Dank, das es dieses Implantat - gleich welches Herstellers - gibt und damit vielen Menschen geholfen werden kann.
 
Als Mitbetroffene muss ich Ihnen aber noch einmal klar und deutlich vor Augen führen, ein Mensch mit dieser Behinderung ist auf die volle Unterstützung und Mithilfe seiner Angehörigen angewiesen und man sollte sich unbedingt um die Förderung und Einbeziehung der CI-Träger in das normale Alltagsleben bemühen. Auch wenn diese nicht immer ganz einfach ist. 
 
Nicht jeder Implantierte wird wieder 100%ig hören und verstehen können. 
 
Jeder kleine Schritt der Besserung sollte als Erfolg angesehen und die Patienten angespornt werden immer weiter zu machen und im Lernen niemals nachzulassen. Wie ja auch wir sogenannte Normalhören immer weiter lernen müssen, denn Sie wissen ja :
 
Man kann so alt werden wie eine Kuh, aber man lernt immer noch dazu.
 
 
Anzunehmen, das nach der Operation ein CI-Träger wieder in jeder Beziehung einwandfrei hört und versteht, ist totaler Nonsens. Missverständisse und Schwierigkeiten treten oftmals auf und sind dazu da überwunden und gemeinsam gemeistert zu werden.
 
Setzen Sie bitte niemals die betroffenen Patienten unter einen derartigen Druck und versuchen sie, sollten Sie merken, er selber macht das, ihn davon abzubringen.
 
Man kann nur einen Schritt nach dem anderen machen und daraus dann für alle Beteiligten das Beste machen und hoffen, das durch Unterstützung und eigenem Willen wieder ein weitgehend normales, frohes und aufgeschlossenes Leben geführt werden kann.
 
Aber eines ist ganz klar, in 99 % aller Fälle gibt es eine klare und deutliche Verbesserung.
 
 
Gott sei Dank !!!!
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