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CI-Erfahrungen

46 Jahre, Schallempfindungs-Schwerhörigkeit, zuletzt an Taubheitgrenzend. CI-Operation am 04.10.2002, meinem zweiten Geburtstag.
 
Wenn einen die Schwerhörigkeit in einem Beruf trifft, wo man mit Menschen reden muss, ist es ein grausames Schicksal. Man kann seinen geliebten Job nicht mehr ausüben. Man zieht sich immer mehr zurück, man hofft seine Familie versteht einen, man hofft es wird wieder besser, aber es wird immer schlechter.
 
Die Lebensqualität verändert sich, das Leben wird komplizierter, was vorher selbstverständlich war, ist auf einmal eine hohe unüberwindbare Mauer. Zum Beispiel telefonieren, einkaufen gehen, überhaupt nur noch ein normales Gespräch mit seinen Mitmenschen zu führen, alles ist Stress. 
 
Jetzt habe ich den Vergleich, seit ich das CI habe, kenne ich den Unterschied wieder, wie es ist am Leben teilzunehmen oder fast taub zu Hause zu sitzen und fast keine Freude mehr am Leben zu haben.
 
Die Entscheidung zu einem Ci ist aus einem meiner dunkelsten Lebensabschnitte entstanden. Heute bin ich fast dankbar über das Mobbing meiner Kollegen, ohne dieses hätte ich nie nach Marburg in die Klinik gemusst und hätte keine Entzündung in der HNO-Klinik zu behandeln gehabt und nicht gefragt, ob man hier auch ein CI implantiert.
 
Anfang 20 machte sich die Schwerhörigkeit bemerkbar, es folgten viele Arztbesuche, Medikamente für Durchblutungsstörungen, aber die Diagnose blieb immer gleich, angeborene Schallempfindungsschwerhörigkeit. Leider hatte ich nicht das Glück mit einem verständnisvollen Partner, der mit den Dingern (Hörgeräte) nicht mit mir vor die Tür gehen wollte, so dass ich lange Zeit gegen Hörgeräte war. 
 
Es war ein schmerzlicher Prozess, die Schwerhörigkeit zu akzeptieren, sich von dem Menschen zu lösen, der so eine negative Einstellung zu einer Behinderung hatte. Einen neuen Beruf zu erlernen, zu lernen, daß man auch mit einer Behinderung Freude am Leben haben kann.
 
Ich kaufte mir ein Motorrad und hatte wieder an etwas Freude, beim Fahren merkt niemand, dass ich schwerhörig bin. In Heidelberg machte ich eine Umschulung zur Teilkonstrukteurin im Maschinenbau, lernte neue Menschen und Möglichkeiten kennen. Unter 20 Normalhörenden sass ich mit meiner Microport-Anlage, alles klappt bestens und machte 2 Jahre später meinen Abschluß vor der IHK. 
 
1993 akzeptierte ich das erste Hörgerät und das brachte eine deutliche Verbesserung in mein Leben. 1997 gab es volldigitale Hörgeräte, die waren super, auch Musik war gut hörbar mit Induktionsplättchen. Aber Stress, Mobbing, Hörsturz und die ganze Pracht war dahin. 
 
Auch mit aller Mühe vom Akustiker, es war einfach nicht mehr aus meinem Gehör heraus zuholen als wie an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Fast taub, einen Job der mich krank gemacht hatte, ich hatte nichts mehr zu verlieren, falls die Operation nicht geklappt hätte. 
 
Das Positiveste in dieser Zeit war, als ich dieSelbsthilfegruppe, heute unser CIV HRM kennen gelernt habe. Die ersten Gespräche mit Familie Kaiser und Herr Schwaninger, die Gruppenausflüge, wo ich die anderen Mitglieder kennen lernte. Das war eine wichtige Zeit, ich habe gesehen und gehört, daß es mit dem CI besser werden kann. Ich schöpfte Hoffnung, und dachte immer mehr meine Entscheidung ist richtig. Es hat mir viel Angst vor der Operation genommen und auf einmal war da ein Lichtschimmer.
 
In der Uni-Klinik Marburg hat man mir in den vergangen Jahren so viel geholfen, auch in der HNO hatte ich gleich ein gutes Gefühl, schon als Herr Prof. Werner die ersten Tests gemachte hatte. Bei Dr. Dalchow dachte ich gleich, da kann mir nicht viel passieren, er passt schon auf, daß alles gut geht.
 
Nach 4 Std. war die Nucleus-Elektrode an der richtigen Stelle. Es war ein toller Erfolg, für die Ärzte so wie für mich. Bei der Erstanpassung gab es nur strahlende Gesichter, vor der Einstellung musste ich noch vom Mundbild ablesen: „Wir schalten den Prozessor jetzt ein." Aber dann kamen auch schon die schönsten Worte, die ich je hörte: „Frau Neumann können sie mich hören?" Ich konnte nur nicken. Dann: „Können Sie mich auch verstehen?", ich konnte nur nicken. 
 
Ich dachte, ich muss die Sprache erst wieder lernen, wie mir jeder gesagt hat, aber nein ich hörte gleich, laut, deutlich, ich war total happy, auf Wolke sieben schwebte ich durch die Klinik und jeder freute sich mit mir. Am Abend saß ich mit anderen Patienten vor dem Fernseher und wiederholte fast schon jedes Wort vom Tagesschausprecher. Am nächsten Tag probierte ich gleich mein Handy, wie toll es klang: „Hier ist ihr Kontoservice von Debitel, ihr aktuelles Guthaben beträgt 12,60 €." 
 
Das können sich nur die anderen CI-Träger vorstellen. Ich lief fast nur noch in Tränen aufgelöst mit Jubelstimmung durch die Gegend, ich konnte es nicht fassen, das mir so etwas Schönes passiert. Mit jeder Einstellung wurde es besser, jeden Tag hörte ich etwas Neues und es klingt so wie ich es in Erinnerung habe. In Marburg haben sich Hr. Dr. Rausch, Hr. Müller sowie Hr. Pera aus Hannover auch alle Mühe gegeben, das es immer besser wurde.
 
Alle Ärzte haben meinem Antrag zur Reha in Bad Berleburg unterstützt, so daß ich schon kurzfristig einen Termin zum 15.01.03 bekommen hatte. Das wichtigste war das Hörtraining, in der Gruppe und Einzeln, man lernt ganz schnell die Grenzen, in welcher Situation es am besten klappt und wo man aufpassen muss. Nach 14 Tagen machten Fr. Raithel und ich das erste Hörtraining am Telefon, siehe da nur einmal nicht richtig gehört. 
 
Also gleich mal im Zimmer das Telefon ausprobieren und schon gleich ein ½ Std. losgequasselt, ich saß da und die Tränen liefen wieder. Heute schaffe ich es schon ganz locker auch mal 6 Std. zu telefonieren, die Rechnungen auf beiden Seiten gehen ins astronomische, aber nie habe ich Rechnungen lieber bezahlt als wie diese.
 
Es gab Entspannungstraining, Massagen, Kneipp, Sauna, Schwimmen, Gymnastik, Krafttraining. Ärzte, Schwestern und Therapeuten, die bestens vertraut sind mit den Problemen einer Hörbehinderung. Ein schöner Zufall war es, daß grade zu dieser Zeit Dr. Zeh, der Chefarzt der Baumrainklinik den Vorstand des CIV HRM zu einer Besichtigungstour eingeladen hat, an der ich ebenfalls teilnehmen durfte und sehr gut verstand. Man ist in der Baumrainklinik gut untergebracht und verpflegt, die Einstellung am CI wurde in den 5 Wochen immer wieder verbessert, auch wenn die Technik nicht immer mitspielte und der Prozessor ausgetauscht werden musste. 
 
Wichtig war auch der Kontakt mit anderen CI-Trägern und allen anderen Hörproblemen, es sind viele Freundschaften in dieser Zeit entstanden, von denen ich keine missen möchte. Während ich dies schreibe am Computer, läuft meine Lieblings-CD von Neil Diamond und ich kann mich noch immer daran freuen dass ich es wieder hören kann. Mit dem Audiokabel hört es sich genau so an, als ich jünger war und in der Disco zu dieser Musik getanzt habe. 
 
Ich frage mich warum hat mich Gott so leiden lassen? Vielleicht damit ich es besser zu schätzen weiss, was mir jetzt passiert, ich bin dankbar, daß ich erleben darf, wie das Leben wieder Freude macht, ich wieder auf die Menschen zugehen kann.
 
Ein Erlebnis möchte ich noch erzählen, das viel, eigentlich alles ausdrückt. Ich hatte auf der Straße eine SMS eingegeben, ein älterer Mann hat mich im vorbeigehen angesprochen. Was hat es denn für eine Reichweite? Ich habe wie eine Normalhörende, ohne zu überlegen geantwortet: Da können sie überall mithin telefonieren, das ist ein ganz normales Handy. Daraus hatte sich ein tolles Gespräch über eine ¾ Std. entwickelt, für Normalhörende ein ganz normales Erlebnis, für mich noch immer ein Grund auf Wolke sieben zu schweben und die Tempos hervor zu holen, so glücklich macht mich ein scheinbar ganz normales Erlebnis. Oder daß ich niemanden mehr zu bitten brauche, ruf mir doch mal den ADAC an, ich kann es jetzt alleine, und das ist wunderschön.
 
Ich hätte es in meinen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt, das es so gut klappt mit dem CI und möchte mich hier zum Abschluss bei all denen bedanken, die diese Zeilen nun lesen und mich auf diesem Weg begleitet haben, die mir stets Mut zugesprochen haben, allen Mitgliedern vom CIV HRM. Ebenso allen, die mitgewirkt haben in der Uni-Klinik Marburg, in der Baumrainklinik in Bad Berleburg und der Firma Cochlear, die dieses tolle Teil, den ESPrit 3G hergestellt hat.
 
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