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Mein Leben mit Neurofibromatose Typ II
und dem Cochlea Implantat

Von Constanze Werner

Hallo liebe Leser/innen,

ich bin Constanze, 30 Jahre alt und seit Sommer 2020 rechtsseitig mit einem Cochlea Implantat (CI) der Firma Med EL versorgt. Linksseitig trage ich ergänzend ein Hörgerät, welches ich erst Anfang 2021 bekam. Der Ursprung meiner Hörbeeinträchtigung liegt aber viele Jahre zurück.

Als 15-Jährige war ich Mitglied eines Chors. Singen war meine Leidenschaft. Als sehr zurückhaltender Teenager fühlte ich mich in den harmonischen Chorklängen geborgen.

Die Tatsache, dass ich während der Chorproben aber zunehmend heiser wurde, ärgerte mich immer mehr, sodass ich bei einem HNO-Arzt vorstellig wurde. Dieser diagnostizierte eine rechtsseitige Stimmbandlähmung. Auf der Suche nach der Ursache, entdeckten die Ärzte auf meiner MRT Aufnahme des Schädels bilaterale Tumore an den Hörnerven. Nicht nur diese, auch andere Tumore waren auf der Bildgebung zu erkennen.

Nach einiger Zeit der Diagnostik wurde klar, dass ich eine chronische Erkrankung namens Neurofibromatose Typ II (NF II) habe.

Mit diesem Begriff konnte und wollte ich in so jungen Jahren nichts anfangen. Mit der Zeit stellte ich aber fest, dass unglaublich viele Menschen diese Erkrankung nicht kennen. Deshalb ist es mir heute ein wichtiges Anliegen geworden über sie zu sprechen.

Bei der Neurofibromatose Typ II wachsen gutartige Tumore im zentralen Nervensystem an den Nervenenden und klemmen diese durch ihre raumeinnehmende Größe mit der Zeit immer mehr ein. Werden sie nicht operativ entfernt, tritt bei einem Wachstum früher oder später dieser Fall ein und es kommt zum Ausfall der entsprechenden Körperfunktion. Werden sie entfernt, so besteht bei der Operation das Risiko, dass der Nerv trotz allem beschädigt wird und man hat den Ausfall der Körperfunktion somit frühzeitig herbeigeführt.

Im besten Fall wird also eine Tumorresektion dann durchgeführt, wenn ein Tumor schon eine gewisse Größe erreicht hat, die auf MRT-Aufnahmen als gefährdend einzuschätzen ist, noch bevor es zu körperlichen Beeinträchtigungen kommt.

Dies war kurz nach meiner Diagnose der NF II bereits der Fall. Der Tumor am rechten Hörnerv musste somit entfernt werden. Gleichzeitig auch der Tumor, der am Gesichtsnerv lag und für meine Stimmbandlähmung sorgte. Die Stimmbandlähmung blieb bis heute, doch konnten mir weitere Jahre des Hörens geschenkt werden.

Da alles gut verlief, war ich immer noch fest entschlossen, dem Ganzen keine weitere Bedeutung beizumessen. Ich war sehr jung und nicht dazu bereit, mir Sorgen zu machen. Vier Jahre später musste ich mir jedoch eingestehen, dass ich ein starkes Druckgefühl hinter meinem rechten Auge verspürte und über mehrere Monate beobachtete, dass mein Augapfel weiter vortrat.

Langsam begann ich mir Sorgen zu machen, denn die Folge einer misslungenen Tumorresektion am Auge wollte ich mir gar nicht ausmalen. „Eine positive Einstellung wird schon alles richten.“ Daran wollte ich festhalten, doch die Komplikationen verunsicherten mich. Das Resultat war ein erblindetes Auge mit Lymphödem, mit dem ich nun schon 10 Jahre lebe.

Nach diesem Erlebnis wurde mir klar, was meine Krankheit bedeuten kann. Für mich ist sie ein Kampf. Ein ruhiger, ausgeglichener, fröhlicher Mensch wurde vom Leben zum Kämpfen aufgefordert.

Nach weiteren Tumorresektionen, die beinahe jährlich 1-2mal stattfinden, meldeten sich 13 Jahre nach der ersten Operation die Schwierigkeiten an meinem Gehör akut zurück. Ich wusste in der Zwischenzeit schon, dass der Tumor auf der linken Seite gewachsen und der einst entfernte Tumor der rechten Seite zurückgekehrt war. Dennoch lag die Priorität bei anderen, dringenderen Eingriffen.

Im Juni 2020 kam es somit über Nacht zu einem Hörsturz auf der schwächeren, rechten Seite. In diesem Zuge stellten wir auch fest, dass ich über die Zeit auf dem linken Ohr schwerhörig geworden bin. An einem Sommermorgen saß ich weinend in der HNO-Praxis und versuchte die Menschen um mich herum zu verstehen. Ich nahm nur verwaschenes Gemurmel wahr, aber nichts, was für mich nach Sprache klang. Das einzige was ich verstand, war, dass ich ein großes Problem hatte.

Im Universitätsklinikum Würzburg wurde für mich ein schneller Masterplan auf die Beine gestellt. Vier Wochen später wurde mir zuallererst der Tumor des schwerhörigen Ohres erfolgreich entfernt.

Weitere vier Wochen später bekam ich ebenfalls in Würzburg mein Cochlea Implantat für das ertaubte Ohr eingesetzt. Wenige Wochen darauf erhielt ich den Rondo 3, meinen Prozessor von Med EL. Im Grunde lagen zwischen Hörverlust und Erstanpassung nur drei Monate.

Was mich aber wirklich erwarten würde, ließ ich auf mich zukommen. Ich wollte nicht zu viel von außen beeinflusst werden und habe mich voll und ganz nur auf das konzentriert, was mir Ärzte, Therapeuten und Hörgeräteakustiker empfohlen haben. Ich hatte mir noch nicht einmal richtig überlegt, ob ich überhaupt ein Cochlea Implantat haben möchte. Ich wusste nur, dass ich nicht taub sein möchte.

Ich brauchte ein paar Monate, um das CI als einen Teil von mir zu akzeptieren. Vor allem, weil ich in den ersten Wochen nichts weiter als ein rhythmisches Klopfen wahrnehmen konnte, fragte ich mich, was der ganze Aufwand sollte. Weitere Wochen und Hörtraining in Eigenregie später, wurden aus dem Klopfen aber verwaschene Silben.

Und dann erwischte ich mich plötzlich, wie ich zu meiner Hörgeräteakustikerin sagte: „Einen Moment, ich muss das CI wieder anlegen, dann verstehe ich sie besser.“ Diese kleinen, schleichenden Fortschritte haben mein verzweifeltes Herz zum Hüpfen gebracht.

Ein gutes Jahr später bin ich froh, mein Cochlea Implantat zu haben. Es ist mir eine große Stütze im Alltag und hilft mir Kommunikationshürden besser zu überwinden. In der Reha, die ich im August dieses Jahres machte, konnte mein Gehör um 20% gesteigert werden.

Ich weiß, dass das Implantat niemals ein menschliches Ohr ersetzen kann, aber bei mir ist auch ein Jahr später noch Luft nach oben. Meine Hörreise geht weiter und ich bin gespannt, was mich noch erwarten wird.

Das erste Foto zeigt mich mit meinem Hund, ein paar Wochen nach Erhalt des Prozessors. Das Zweite enstand nach der Implantierung, durch die entfernten Haare sieht man Teile der Narben, der vorherigen Operationen an Auge und Hörnerv. Auf dem letzten Foto erhielt ich meinen Sprachprozessor.

Constanze Werner
Dezember 2021