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Mit beiden Ohren im Leben

Von Isabelle Wientzek

Hey! Ich stelle mich einmal kurz vor. Mein Name ist Isabelle und ich bin 28 Jahre alt. Ich bin seit meiner Geburt an Taubheit grenzend schwerhörig, wobei man hier wirklich sagen kann, dass ich nichts höre, sobald ich meine HdO-Geräte ablege. Warum ich taub bin, wissen wir nicht. Wir nehmen an, dass es vererbt wurde, da mein Uropa ebenfalls taub war. Fakt ist, ich bin taub. Und komme super damit klar!

1997 haben sich meine Eltern für ein Cochlea Implantat (CI) auf meiner linken Seite entschieden, und das war ein Mordsschritt. Man wusste ja damals nicht so recht, ob und wie diese (Wunder-)technik anschlagen würde. Mit vier Jahren bekam ich also mein erstes CI in Freiburg. Die Operation und die Nachversorgung verliefen reibungslos. Ich kam relativ schnell in die Lautsprache und konnte endlich Geräusche, Stimmen und Musik zuordnen.

Nach zahlreichen Besuchen bei Logopäden und Hörakustikern wurden mir immer mehr Steine aus dem Weg geräumt. Mir war es, dank dem wahnsinnig großen Einsatz meiner Eltern, möglich in den Kindergarten meines Heimatdorfes zu gehen. Ich wurde integriert und konnte mich wunderbar mit den anderen Kindern verständigen - wie auch in der Grundschule. Hier nutzte ich zum ersten Mal die grandiosen technischen Möglichkeiten von Cochlear mit der Mikroportanlage, um meine Lehrer gut verstehen zu können. Dies führte ich auch auf der Realschule sowie beim Abitur weiter, wobei ich sagen muss, dass ich während des Abiturs eine kleine „rebellische Phase“ hatte, in der ich so oft wie möglich verschweigen wollte, dass ich CI-Trägerin bin.

Ich habe es gehasst, im Mittelpunkt zu stehen und vor allem, dass ich von allen Lehrern als die „Schülerin mit einer Hörbehinderung“ vorgestellt wurde. Ich kann mich noch besonders gut an einen Mitschüler erinnern, der ständig „Taubenwitze“ gemacht hat. Bis zu einer gewissen Grenze konnte ich darüber mitlachen, alles andere darüber hinaus wurde verletzend. Wahrscheinlich hat auch das verursacht, dass ich versuchte, meine Behinderung zu vertuschen. Nichtsdestotrotz wurde ich überall integriert und super aufgenommen, ich fand viele Freunde und ausnahmslos alle nahmen Rücksicht auf mich und meine Hörbehinderung. Manchmal wurde sogar vergessen, dass ich schlechter höre als andere. Das hat mich geehrt. Und tut es auch heute immer noch.

Ich sage immer, dass es Glück im Unglück ist. Ich wirke normal, kann in vielen Situationen mit Hörenden mithalten. Trotzdem habe ich ein Hördefizit und es gibt reichlich Situationen, die mir sehr schwerfallen und das strengt manchmal eben richtig an. Eine klassische Situation ist zum Beispiel ein Besuch im Restaurant oder Gruppengespräche, eben Situationen mit vielen Hintergrundgeräuschen.

Trotz der tollen Technik mit z.B. Forward Focus von Cochlear, welche die Umgebungsgeräusche dämpft, ist es keine schöne Situation für CI-Träger. Wir können schlecht filtern und alles wirkt übermäßig laut. Da bin ich dann immer dankbar, dass ich gut von den Lippen ablesen kann. Das kann schon sehr hilfreich sein.

Nach meinem Abitur wollte ich unbedingt in die Praxis und habe eine Ausbildung zur Mediengestalterin Digital und Print gemacht. Ich war 19 Jahre alt, als ich von zuhause ausgezogen bin und zum ersten Mal unabhängig mit beiden Füßen im Leben stand. Das war schon eine kleine, aber tolle Herausforderung. Während dieser Zeit habe ich gelernt, selbstständig zu sein und vor allem habe ich gelernt, auf meine Hörbehinderung hinzuweisen. Ich weiß nicht genau, was mich dazu bewegt hat, aber es war, wie als hätte sich ein Schalter in meinem Kopf umgelegt. Ich fing an, Leute direkt darauf hinzuweisen, dass ich CI’s trage und gegebenenfalls nicht direkt reagiere. Ich hatte das Gefühl, dass man so besser mit mir umgehen könnte. Zumindest wussten die Leute, dass es keine böse Absicht von mir war, wenn ich mal nicht reagierte.

Ich fing auch an, meine Haare zum Zopf zu binden. Das hatte ich vorher nie gemacht, um bloß nicht meine CI’s sichtbar zu machen. Mittlerweile trage ich die Haare sogar öfter zu einem Zopf und bin stolz darauf zu zeigen, dass ich Cochlea Implantate trage, meine Markenzeichen eben, das was mich vollkommen macht.

Nach der Ausbildung entschloss ich mich, ein Studium aufzunehmen, das Studium der Medienwissenschaft an der Universität in Marburg. Als Filme- und Serienfreak wollte ich mir unbedingt neben meiner praktischen Erfahrung noch tiefgründiges theoretisches Wissen aneignen. Ich glaube, dieses neue Kapitel oder vielmehr der Übergang in die Uni-Welt, war für mich der schwerste. Die Basis der Selbstständigkeit von der Ausbildungszeit hatte ich zwar schon, aber an einer Universität zu studieren - das war nochmal eine andere Herausforderung. Und ganz besonders für meine Ohren.

Zwar hatte ich die Mikroportanlage auch an der Uni im Einsatz, aber die nützte in großen Hörsälen, in denen die Dozent/innen bereits Mikrofone trugen, überhaupt nichts. Auch in den Seminarräumen, in denen häufig Gruppendiskussionen geführt wurden, tat ich mich sehr schwer. Trotzdem habe ich mich davon nicht behindern lassen, sondern so viel wie möglich mit meinen Kommilitonen kommuniziert, mit Dozent/innen gesprochen und mir Hilfe geholt. Durch einen Minijob als Studentische Hilfskraft für eine Professorin wurde ich mehr und auch erfolgreich durch die wissenschaftliche Welt geführt.

Ich habe in meiner Regelstudienzeit von fünf Jahren meinen Bachelor und Master gemacht und rückblickend betrachtet bin ich verdammt froh, das durchgezogen zu haben, und auch stolz, ganz besonders auf meine Ohren.

Hier in Marburg, wo ich auch jetzt noch lebe, habe ich meine Leidenschaft fürs Kino entwickelt. Meine Besuche dort haben sich zur Regelmäßigkeit entwickelt. Das Gefühl, mit vielen anderen Menschen in einem abgedunkelten Raum zu sitzen und in voller Dolby- (bestenfalls Atmos)-Lautstärke einen tollen Film anzuschauen, ist für mich unbezahlbar. Allerdings hatte ich nur ein „einseitiges“ Kinoerlebnis mit nur einem funktionierenden Ohr.

Vielleicht hat mich auch unter anderem das bewegt, mich 2017 noch während meines Studiums, auf der rechten Seite implantieren zu lassen. Ich habe lange gebraucht, um diesen Schritt zu wagen. Letztendlich haben sich einige Nachteile angehäuft, die ich unbedingt durch das zweite CI verbessern wollte. Dazu zählten vor allem das nichtvorhandene Richtungshören, das nicht vollständige Kinoerlebnis und das Nichtverstehen meines Beifahrers im Auto. Und zack, so schnell war die zweite CI-Operation geplant und auch durchgeführt. Ich habe mich an der Uniklinik Essen operieren lassen und alles hat tadellos funktioniert - von der OP an sich über die Erstanpassung bis hin zum Hörtraining, was ich jetzt noch (fast vier Jahre später) erfolgreich durchführe. Ich muss sagen, mein rechtes Ohr entwickelt sich langsam, aber es wird. Dadurch, dass mein linkes Ohr über die Jahre stets so dominant war, ist es schwer, das rechte Ohr auf dasselbe Level zu bringen. Doch gebe ich die Hoffnung nicht auf und übe fleißig weiter. Ich bin unheimlich dankbar dafür, dass es diese Technik gibt und ich mich dazu entschlossen habe, auch mein zweites Ohr implantieren zu lassen. 

Mittlerweile arbeite ich seit einem halben Jahr im Bereich Marketing/Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Firma medDV GmbH, welche Hard- und Softwarelösungen für den Rettungsdienst herstellt. Und hier bin ich sehr sehr glücklich! Meine zwei CI’s haben mir diesen Weg ermöglicht und sorgen stets dafür, dass ich mich in der hörenden Welt zurechtfinde, auf hohem Niveau!

Und zum Schluss möchte ich sagen: Meine Cochlea Implantate sind meine treuesten und besten Freunde!

Isabelle Wientzek
Juni 2021