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Mein Leben mit zentraler Schwerhörigkeit und ihren Tücken

Von Jasmin Koser

Meine Geschichte:

Ich wurde im Jahr 1995 geboren gemeinsam mit meinen beiden Schwestern. Somit waren wir eine Drillingsgeburt (30 Schwangerschaftswoche). Mein Geburtsgewicht war 1000 g.  Meine beiden Schwestern wogen 800g mehr als ich.

Meine Mutter meinte schon als Baby, dass ich anders höre als meine beiden Schwestern. Der Kinderarzt ist diesem nicht wirklich nachgegangen. Ich lernte etwa sechs Monate später zu laufen, zu sprechen, zu lesen und zu schreiben als meine beiden Schwestern.

Zwischen der 2. und 6. Klasse wurde ich in Asien groß. In der dritten Klasse kam eine Lehrerin wegen meines Diktates auf meine Eltern zu. Diese empfahl meinen Eltern zum HNO-Arzt bzw. Audiologen zu gehen. Etwa ein halbes Jahr später wurde eine allgemeine Hörstörung diagnostiziert.

Mit 12 Jahren kam ich wieder nach Deutschland zurück und wurde nochmals einem deutschen HNO-Arzt vorgestellt. Dieser stellte damals eine dichotische Hörstörung fest. Dichotisches Hören ist, wenn zwei unterschiedliche Worte jeweils auf dem rechten Ohr und dem linken Ohr ankommen. Als Beispiel: rechtes Ohr: Hut und linkes Ohr: Baum. Ein gesunder Mensch kann das trennen. Bei mir kommt sowas wie Haum, Haut oder But an. Somit beschreibt das dichotische Hören das voneinander trennen von Wörtern an den jeweiligen Ohr-Seite. Dies ist ein Verarbeitungsprozess im Gehirn. Mit 14 Jahren bekam ich dann mein erstes Hörgerät. Es war leider nur ein Kassengerät. Damals waren meine Eltern überfordert und hatten auch kein Wissen über mögliche Ansprüche oder wo sie Informationen bekommen können.

Ich war mein Leben lang auf einer Regelschule. Ich hatte viele Lehrer, die mir nicht geglaubt haben. Erst als das Frankenthaler Institut mir half, auch um ein neues Gutachten zu schreiben, kam eine neue Diagnose.

Diese Diagnose war Auditive-Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung. Selbst nach dieser Diagnose haben viele Lehrer mir noch immer nicht geglaubt. Erst mit dem neuen Direktor bekam ich Ende der zwölften und in der dreizehnten Klasse einen Nachteilsausgleich. An diesen hielten sich leider auch nicht alle. Man ist ja leider bei Beschwerden nie anonym.

Ich habe mein Regelschulabitur geschafft und habe dabei nur die dritte Klasse in meiner Schulzeit wiederholt. Ich studiere nun an einer Universität in Hessen. Mein eigener Fachbereich ist toll, denn es sind kleine Klassen und im Fachbereich gibt es viele verständnisvolle Professoren und Dozenten. Leider gibt es in den großen Fachbereichen kaum Verständnis, weder von den Studierenden noch von den Dozenten was die Geräuschkulisse angeht. Soweit ich weiß, sind nur zwei Vorlesungsräume an der Universität hörbehindertengerecht gebaut. Die Schallwellen werden an den Wänden gebrochen und somit kommt kein Gegenschall. Die meisten FM Anlagen/Induktionsanlagen an Universitäten sind primär nur Verstärker. Was mir wenig bringt, da die Störgeräusche nicht herausgefiltert werden.

Ich habe einen sehr angewandten Studiengang, in dem es aktuell schwer ist, einen passenden Nachteilsausgleich zu finden, da nicht immer alles umsetzbar ist. Aber mein Fachbereich bemüht sich wirklich. Typische schwierige Situation:

In einem Hörsaal für 150 Leute saßen etwa 30 Studierende, wobei eine Gruppe ständig quatschte, während der Professor vortrug. Da sich für mich diese Stimmen vermischen und ich sie nicht voneinander trennen kann, fällt es mir schwer dem Professor zu folgen. In der dritten Vorlesung meldete ich mich und sprach die Gruppe direkt an, dass sie bitte Rücksicht nehmen sollten. Der Professor hat mich zum Glück unterstützt. Diese störende Gruppe kam dann auch nicht mehr. Das ist für mich ein positives Beispiel (Geräuschkulisse) aus einem anderen Fachbereich. Es ist sehr schade, dass die Gruppe deswegen ferngeblieben ist. Aktuell habe ich noch kein neues Hilfsmittel, weswegen ich darauf angewiesen bin, dass die Studierenden, so gut es geht, still sind.

Mit 26 erhielt ich dann die Diagnose „Zentrale Schwerhörigkeit“.

Wie höre ich damit meinen Alltag?

Ich höre häufig meinen Alltag wie einen Lückentext. Dabei kommt es leider zu Wortdrehern oder zu Buchstabendrehern.

Beispiel: Doris hebt ……Blatt

Realität: Boris gibt einen neuen Rat.

Mein Gehirnareal fürs Hören kann die Schallwellen nicht richtig analysieren. Die Pünktchen stehen dort, wo Störgeräusche die Wörter überdecken, z.B. das Tippen auf einer Computertastatur, ein herunterfallender Stift oder Nebengespräche. Leider ist mein peripheres Gehör sehr gut, das heißt, ich höre fast jedes kleine Geräusch, kann es nur nicht immer identifizieren, analysieren oder wo es herkommt.

Ich selbst kann nicht sagen, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt und auch nicht, ob es lauter oder leiser wird. Somit bekomme ich Fahrradfahrer von hinten meist sehr spät mit oder bin auch sehr schreckhaft, wenn mich jemand überrascht.

Wie wirkt sich das aus?

Ich bin häufig sehr müde. Ohne neues Hörgerät brauche ich zwei Stunden Erholung nach der Uni oder schlafe manchmal direkt auf dem Sofa ein. Es gibt Phasen, in denen ich in Gesprächen mehr und mehr abschalte und langsamer reagiere. Meistens geht es nicht, länger als drei Stunden in einem lauten Raum (mehrere Gesprächsrunden) zu sein. Dann lässt meine Konzentration nach und ich kann immer schlechter absehen. Das Kombinieren (=Erraten, was gemeint ist) ist auch recht anstrengend. Ich gehe aufgrund der Geräuschkulisse ungerne in Discos oder Bars.

Ich kann leider auch schlecht telefonieren, da häufig Buchstabendreher dabei sind und nicht immer alle Information richtig ankommen.

Beispiel: Um zwei Uhr ist ihr Termin bei Dr. Müller.

Realität: Um drei Uhr ist ihr Termin bei Dr. Knüller.

Das geschieht leider schon bei normalen Gesprächen. Also brauche ich Videocalls, um mir wenigstens etwas sicherer zu sein.

Meine Kritik:

Es gibt dazu wenige Ärzte oder Kliniken, die Erwachsene mit Auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsschwerhörigkeit und zentraler Schwerhörigkeit untersuchen, da häufig die Untersuchungsverfahren/-geräte fehlen. Häufig wird diese Art von Hörschädigung nur bis zum 18. Lebensjahr untersucht und erforscht. Leider kann man bei den wenigsten Ärzten einen Termin per Email ausmachen. Die Korrespondenz bei Banken und Ämtern ist leider selten hörbehindertengerecht.

Was gibt es durch meine Hörbehinderung Gutes?

Viele langjährige Freunde schätzen es, dass wenn ich zuhöre (absehe und kombiniere) auch bei Ihnen bin und nicht am Handy oder sonst wo. Durch meine Hörbehinderung versuche ich gerade in Leichtathletik auch Inklusion im Sport durchzusetzen (egal welches Handicap). Durch meine Hörbehinderung kann ich mich besser reinversetzen in andere Menschen mit Handicap. Dabei stelle ich Fragen, wo sie Probleme haben und versuche dies in einem Training handicap gerecht umzusetzen. Ich habe auch gelernt durch den ganzen Ärzte Marathon und immer wieder auftretenden Problemen mit unterschiedlichen Institutionen geduldig zu sein.

Ich hoffe, ich konnte das Bild der zentralen Schwerhörigkeiten und ein paar Informationen zu meinem Diagnose-Marathon vermitteln und durch Beispielsituationen etwas Verständnis für diese Art von Hörbehinderung bei Erwachsenen schaffen, die aktuell noch wenig bekannt und noch weniger erforscht ist.

Jasmin Koser
Januar 2023