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Mein Weg zum Cochlea Implantat als Gesamtkunstwerk

Von Frank

Mein Name ist Frank oder Franki, ich bin 55 Jahre alt, verheiratet und habe drei Söhne. Ich lebe und höre mit einem Cochlea-Implantat seit September ´22. 

2019 kam es rechtsseitig zu einem massiven Hörsturz (der vierte rechts), danach war shut down und ich war rechts komplett ertaubt.

Die nächsten zweieinhalb Jahre habe ich das mehr oder weniger so hingenommen. Das Hören im Alltag wurde durch die Tatsache erschwert, dass linkseitig auch schon eine Hörschädigung vorlag, die über eine Hörhilfe ausgeglichen wurde. 

Da bei mir noch andere gesundheitliche Probleme (chron. Rückenschmerzen, Diabetes, obstruktive Kardiomyopathie) für mich im Vordergrund standen, habe ich mich um mein Gehör nicht weiter gekümmert, obwohl ich die Belastung durch das schlechte Hören und Verstehen in meiner Umgebung wahrgenommen habe und mich dadurch immer mehr im Familien- und Freundeskreis zurückzog, mich isolierte. 

Der Wandel vollzog sich im Oktober 2021, als ich über meine, die Rückenschmerzen behandelnde Klinik, eine Zusage für einen Therapieplatz in einer stationären intermodalen Schmerztherapie erhalten habe.

Das war im April ´22, das Komplettprogramm, mit Morphium-Entzug unter ärztlicher Aufsicht, Medikamentenumstellung, intensiver Physiotherapie und psychologischer Betreuung.

Bei mir schlug das wie ein Blitz ein. In der 16-tägigen Reha erwachte in mir, aufgrund der besonders guten psychologischen Hilfe, ein neues Selbstbewusstsein.

Das bedeutete nicht nur, dass ich endlich meine Rückenschmerzen, derentwegen ich 2013 in Rente gehen musste, in den Griff bekommen hatte, sondern auch endlich die Motivation hatte meine anderen gesundheitlichen „Baustellen“ anzugehen. 

Im Juli ´22, lies ich endlich wieder mein Herz checken mit einer Herzkatheter Untersuchung. Leider musste ich auch hier feststellen, dass ich mich in den letzten Jahren einen Scheißdreck um meine Gesundheit geschert habe. Jetzt stand aber die letzte Hürde an, das Gehör. 

Wir haben einen sehr guten und kompetenten niedergelassenen HNO-Arzt, der unsere Familie schon seit 25 Jahren betreut. Dieser Termin änderte alles, weil ich jetzt das erste Mal erfuhr, wie schlecht mein Hören und Verstehen ist. Die Diagnose der kompletten Ertaubung rechts und der massiven Schwerhörigkeit links, ließen mein neu gefundenes Selbstbewusstsein kurzzeitig wieder zusammenstürzen.

Wie geht es jetzt mit dem Hören weiter? Der Arzt hatte die Antwort: ein Cochlea Implantat (CI).

Ich war vor meiner Berentung Intensivpfleger und wusste deshalb natürlich auch was ein CI ist. Nur hatte ich mir logischerweise nie Gedanken über diese Technik und die praktische Anwendung gemacht und ich dachte immer, es wird nur für gehörlose Kinder und Jugendliche eingesetzt. Nein, auch für alte Knacker wie mich. Die Sache steht.  

Erst jetzt begann ich mich natürlich mit dem Thema zu beschäftigen. Hersteller, Geräte, Unterschiede, Farben … usw. Was mir immer im Weg war, war der eigene Kopf. 

Ich hatte mich recht schnell für das Cochlear Nucleus entschieden und war trotz der Vorteile überrascht, wie groß diese Geräte noch immer sind. Definitiv ein Hingucker im Vorbeigehen, besonders wenn man komplett kahl ist, wie ich. Also geben wir dem Publikum was zum Schauen.

Am 19.08.22 sollte die Operation sein und ich suchte im gesamten Internet nach einer Tattoo Vorlage für die Einbindung eines CI´s in ein Cyborg-Tattoo.

Soziale Medien, Pinterest, Google, Webseiten von Tattoo-Studios ... nichts. Gab es noch nie!!!

Also musste ein eigener Entwurf her, den ich dann sehr gut selber umsetzen konnte. Der nächste Schritt: Das passende Studio. Das war jetzt richtig schwierig. Es gibt in meiner Heimatstadt Bremen einige gute und seriöse Tattoo Studios, aber überall wo ich anrief, bekam ich eine Absage.

Unbekannte Technik und wahrscheinlich die Sorge vor Komplikationen oder Beschädigung, ließen die ersten vier Studios NEIN sagen.

Etwas entmutigt las ich im Internet die Info-Seiten über CI und CI-Operationen, bei vielen stand dabei, dass über den Bereich vom Sitz des Transmitters und hinter dem Ohr nicht tätowiert werden darf, warum schrieb keiner. 

Die Operation am 19.08.22 verlief problemlos, das ganze Team des Diakonissenkrankenhaus Bremen hatte eine Top-Arbeit hingelegt.

Nach vier Tagen konnte ich die Klinik verlassen, ich hatte die Grundlage für ein CI, den Entwurf für ein Tattoo, das ein Computer Mainboard in einen offenen Schädel mit allen Schattierungen und Details darstellt und den Mut, die Idee mit der Tätowierung durchzuziehen. 

Aber immer noch kein Studio! 

 Die OP-Wunde heilte komplikationsfrei ab. Während der Wartezeit zwischen der OP und der Aufschaltung und Inbetriebnahme des CI kam mir der glückliche Zufall zu Hilfe, dass es in der Nähe unseres Wohnbereichs ein Tattoo-Studio gab, welches ich noch nicht auf dem Schirm hatte: 

AchtSechsTattoo, drei Kilometer von uns entfernt, Inhaber Marvin Fandel (Babba Speck), eine Szenegröße in Bremen, Musiker, Gangster Rapper und Top Tätowierer. 

Der Kontakt wurde über Instagram geknüpft und ja... er war bereit und traute sich zu, dieses Tattoo zu stechen. 

Am 20.09.22 bekam ich dann mein Nucleus 7. Meine Audiologin im Diako Bremen, Frau Rees,  übernahm die Ersteinstellung und ich am Abend den Kontakt zu Babba Speck. 

Der Erstbesuch wurde für den 21.09.22 ausgemacht, der erste Tag nach der CI-Inbetriebnahme. Ein großes Studio, modern und lichtdurchflutet mit vier Tätowierern und alles keine Amateure.

Ich lernte Babba Speck kennen, ein herzensguter supernetter Typ. Jetzt war ich nur etwas überrascht, das nicht nur eine Beratung und der Entwurf an diesem Tag geplant waren, sondern es sollte gestochen werden. Alle Termine waren abgesagt, volle Aufmerksamkeit nur für mich.

Und dann begann erst einmal eine neunstündige Tortur, die ich wahrscheinlich niemals vergessen werde.

Drei Stunden dauerte es, meinen Entwurf am PC mit Hilfe von Photoshop in das passende Format zu bringen. Das Abmessen der richtigen Abstände und Proportionen am Kopf sowie das Zeichnen auf das Transferpapier forderten den langen Vorlauf.

Der Entwurf:


Übertragung des Entwurfs mit dem Transferpapier auf den Kopf.



Was nach der darauffolgenden sechsstündigen Session bis tief in die Nacht hier entstanden war, fühlte sich unbeschreiblich an.

Die heftigen Schmerzen während der Sitzung waren vergessen, Kopf, Hals und Schläfe beruhigten sich wieder. Mit reichlich Whiskey (gegen die Schmerzen) und Schokolade (für den Kreislauf) im Blut wankte ich in den frühen Morgenstunden nach Hause und konnte immer noch nicht fassen, was hier Einmaliges an meinen Kopf entstanden war.

Nach der ersten Sitzung:

Die Resonanz von Familie, Freunden, Bekannten sowie den Klinikärzten war überwältigend und mein Selbstbewusstsein wuchs wieder von Tag zu Tag. Ich hatte zwar ein Handicap aber es war wie kleines einmaliges Stück Kunst.

In den darauffolgenden fünf Monaten wurde das Meisterwerk von Babba Speck weiter ergänzt und nun abgeschlossen. In der Zeit war ich auch etwas klüger geworden, verwendete anästhesiologische Salben, die das zu bearbeitende Areal betäubten.

Ich habe mit der Anlage des CI für mich ein ganz neues Anderssein entwickelt, habe neue Freunde, Anerkennung und Selbstbewusstsein gefunden. Ich sehe mein CI nicht als Handicap oder Einschränkung, sondern als Accessoire an. Wie ein Schmuckstück, für meinen Kopf, gemacht, um mich wieder an meiner Umwelt teilhaben zu lassen und meine Umgebung mit diesem tollen Kunstwerk zu erfreuen.

Ach so: es sind noch zwanzig neue Tattoos dazugekommen.

Frank
Juni 2023