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Wenn das Leben Dir eine Zitrone gibt,
press sie aus und mach Limonade daraus….

Von Claudia

Mein Name ist Claudia und ich bin 54 Jahre alt. Bis im vergangenen Jahr hatte ich das Glück nie ernsthaft krank gewesen zu sein und wenn mir heute vor einem Jahr jemand gesagt hätte, dass ich in vier Monaten einseitig taub wäre, hätte ich wahrscheinlich herzhaft gelacht.

Nach einem Burnout in 2011 hatte ich immer wieder mal so „kleine Aussetzer“ in dem einen oder dem anderen Ohr. Nichts was mich zum Nachdenken gebracht hätte, weil das schnell vorüber war.

Am 30.12.21 hatte ich nachmittags im Büro mal wieder so einen Aussetzer. 5 Minuten und dann war wieder alles wie immer. Silvester wollten wir mit unseren Kindern und ein paar Freunden feiern. Alles war soweit geplant, die restlichen Einkäufe sollten am 31.12.21 morgens früh erledigt werden. Ich bin am Silvestermorgen wach geworden und beide Ohren waren wie „in Watte gepackt“ und irgendwie hatte ich ein wenig Kreislaufprobleme. Bis dahin habe ich mir noch keine Sorgen gemacht, weil ich dachte, dass das wie immer verschwindet. Am Vormittag hatte ich für eine halbe Stunde das Gefühl: „alles wieder in Ordnung“, das sollte sich aber als Trugschluss rausstellen. Am frühen Nachmittag bekam ich heftigen Schwindel, musste mich mehrfach übergeben und war nicht in der Lage auch nur einen Schritt zu gehen.

Der herbeigerufene Rettungsdienst konnte nichts feststellen, alle Vitalwerte absolut in Ordnung. Der Arzt, der mit meinem Mann telefonierte, meinte wir sollten Vomex A in der Apotheke holen und dann würde das weg gehen. Gesagt, getan! Danach war mir zwar nicht mehr schlecht, aber aufstehen konnte ich vor lauter Schwindel immer noch nicht. Am Abend habe ich mich dann im Wohnzimmer auf den Boden gelegt und Silvester an mir vorbeiziehen lassen. Ganz anders als geplant.

Als am nächsten Nachmittag immer noch keine Besserung in Sicht war, hat meine Familie entschieden ein weiteres Mal den Rettungsdienst zu rufen. Ich lag mittlerweile seit ca. 28 Stunden auf dem Boden und nichts ging. So fand ich mich am 01.01.22 abends in der Notaufnahme des Klinikums wieder.

Auf Station bekam ich sofort eine Infusion und ich konnte endlich schlafen. Ich bin eine Woche im Krankenhaus gewesen und habe täglich Kortison-Infusionen bekommen. Am 03.01.22 hatte ich einen Hörtest, der mehr als schlecht war. Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass mein Gleichgewichtssinn ausgefallen war. Das erklärte zumindest den Schwindel aber nicht, woher das alles kam. Nachmittags wurde ein MRT gemacht, um einen Tumor im Kopf auszuschließen. Zum Glück alles ohne Befund! Am 04.01.22 hatte ich noch eine Tympanoskopie - aber auch die brachte kein Licht ins Dunkel.

Zu diesem Zeitpunkt war der Schwindel mein größtes Problem, an mein Ohr habe ich wenig bis gar keine Gedanken verschwendet. Mit Hilfe der Physiotherapeutin konnte ich zumindest bis zum Ende der Woche wieder ohne Rollator laufen.

Bei einem meiner zaghaften Spaziergänge auf dem Krankenhausflur habe ich mich mit meinem Arzt unterhalten. Ich wollte ganz ehrlich wissen, was noch auf mich zukommt. Bei diesem Gespräch fiel zum ersten Mal, mehr beiläufig, das Wort Cochlea Implantat (CI). Davon hatte ich noch nie etwas gehört und zu diesem Zeitpunkt hatte das für mich keine große Bedeutung, weil es ja noch möglich war, dass mein linkes Ohr sich wieder fängt, wenn auch die Prognose mit fortschreitender Zeit schlechter wurde. Zuhause habe ich erst einmal meinen Schwindel bekämpft. Der Rest konnte warten!

Am 02.02.22 hatte ich wieder einen Termin in der Klinik. Der anstehende Hörtest sollte zeigen, wie es weitergeht. Im Grunde ahnte ich schon was kommt. Mein linkes Ohr war nahezu taub. Im folgenden Arztgespräch war das CI wieder Thema, nun blieb mir wohl nichts anders übrig als mich damit zu beschäftigen.

Zuerst sollte ich aber ein Hörgerät testen, was sich aber sehr schnell als untauglich herausstellte. Außer scheppernden Geräuschen kam nichts an, was mir auch nur im Entferntesten geholfen hätte.

Der Termin für das Erst-Gespräch in der CI - Sprechstunde wurde auf den10.03.22 gelegt. Ich habe das Internet auf den Kopf gestellt, um Informationen zu bekommen, habe mir Unterlagen schicken lassen und so weiter.

Bereits Ende Januar hatte ich mit meiner Hausärztin einen Reha Antrag wegen des Schwindels auf den Weg gebracht. Mein Wunsch war es nach Bad Nauheim in die Kaiserberg-Klinik gehen zu dürfen. Der Antrag war schnell genehmigt und die Reha sollte am 16.03.22 starten. Perfektes Timing! Das wurde aber leider durch einen positiven Corona Test am 09.03.22 zunichte gemacht. Also, alle Termine verschieben!

In den vier Wochen in Bad Nauheim habe ich meinen Schwindel und meine innere Unruhe sehr gut in den Griff bekommen. Die Gespräche mit anderen Betroffenen haben mir so viel Positives gegeben, ich war nicht allein mit meinen Erfahrungen der letzten 3 Monate.

Auch hier hatte ich noch einmal einen Hörtest, der aber nichts anderes ans Tageslicht gebracht hat. Die anschließenden Gespräche mit den Ärzten hatten alle den gleichen Tenor. Es gibt nur zwei Möglichkeiten - Nr. 1: alles bleibt, wie es ist oder Nr. 2: ein Cochlea Implantat!

Nr. 1 war die schlechteste Option für mich!

Also habe ich die verbleibenden drei Wochen in der Fachklinik genutzt. Ich habe sämtliche Vorträge über CI’s, Technik etc. angehört. Ich habe bei den Therapeuten nachgefragt, mir von bereits implantierten Mit-Patienten Informationen eingeholt.

Nach vier Wochen bin ich gestärkt und mit einer Entscheidung wie ich den Weg weiter gehen werde wieder nach Hause gefahren.

Am 12.05.22 hatte ich das Erst-Gespräch in der CI-Sprechstunde. Im Grunde war mir schon klar, wie das weitergehen sollte. Und weil ich nicht mehr überlegen musste, ging es dann auch relativ schnell. Ich habe an diesem Tag schon die ersten beiden Impfungen bekommen, erste Tests wurden ebenfalls gleich erledigt. Bis zum nächsten Termin, Anfang Juni, sollte ich noch ein CROS-System testen. Der Test verlief aber, erwartungsgemäß, nicht wirklich gut. Ich war total überfordert mit der Tatsache, dass alle Geräusche von beiden Seiten jetzt auf meinem rechten Ohr einschlagen. Von Richtungshören konnte überhaupt keine Rede sein. Der Hörtest beim nächsten Termin in der Klinik hat das auch bestätigt. Ich habe mit dem CROS schlechter gehört als ohne!

Worauf noch warten? Es gab nichts, was gegen ein CI gesprochen hätte. Im Abschlussgespräch mit der Ärztin habe ich dann auch gleich den OP-Termin festgelegt. Am 27.07.22 sollte der große Tag sein.

Die notwendigen Voruntersuchungen wie auch das Aufklärungsgespräch mit dem HNO und der Narkoseärztin fanden am 01.07.22 statt und dann war erst mal Urlaub angesagt! Die 14 Tage an der Nordsee taten gut! Ich bin viel gelaufen und habe wenig über das was kommt nachgedacht.

Nach dem Urlaub waren es noch 10 Tage bis zum OP-Termin und mit jedem Tag, der verging begann mein Kopf mehr darüber nachzudenken. „Hast Du Dir das richtig überlegt?“; „Was ist, wenn alles anders läuft?!“; „Wie wird das Hören sein?!“; „Wird der Schwindel nach der OP wieder da sein?!“ - Fragen über Fragen und keine Antworten. Auf diese Fragen konnte ich keine Artworten erwarten, wer konnte mir schon sagen, wie es bei mir sein wird?

Es war keine wirkliche Angst vor der OP oder der Narkose, eher die Ungewissheit vor dem was danach kommt.

Am 26.07.22 habe ich nachmittags in der Klinik angerufen, um meinen Termin zu erfragen. Ich sollte am nächsten Tag um 07.00 Uhr morgens da sein. Mein Mann hat mich gefahren, die Fahrt war eher ruhig, jeder war wohl mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Um die Mittagszeit bin ich dann operiert worden. Gegen 17.00 Uhr war ich in meinem Zimmer auf Station. Ich habe sofort kontrolliert, ob es mir bei Bewegungen schwindelig wird, ob mein Gesichtsnerv und mein Geschmacksnerv noch so funktionieren wie sie sollten. Alles im grünen Bereich! Mein Arzt war zufrieden mit dem Verlauf der OP. Am nächsten Tag sollte mit einem CT die Lage der Elektroden noch einmal überprüft werden. Es ging mir sehr gut, ich war nur müde! Schmerzmittel brauchte ich zu keiner Zeit!

Das CT am Folgetag war OK. Der Druckverband, den ich im Übrigen gar nicht so störend oder unangenehm empfunden habe, wurde täglich erneuert. Nach vier Nächten durfte ich wieder nach Hause. Ich war dann noch eine Woche krankgeschrieben, die Fäden wurden 10 Tage nach der OP entfernt - danach bin ich wieder arbeiten gegangen. Einzig die Brillenbügel haben eine ganze Weile hinterher noch auf der Narbe gedrückt.

Jetzt galt es die Zeit bis zur Erstanpassung zu überbrücken. Die sollte am 25.08.22 sein.

Ich war ganz schön aufgeregt, als wir an diesem Morgen in der Klinik zur ankamen. Wieder so viele Fragen auf die es keine Antworten gab. „Wie wird sich das anfühlen?!“; „Wirst Du überhaupt etwas wahrnehmen?!“; „Wird es Dir am Ende wieder schwindelig?!“…..

Als der Soundprozessor zum ersten Mal mit dem Magnet des Implantates verbunden wird, fühlt es sich komisch an - aber nicht unangenehm!

Ich habe sofort nach dem Einschalten etwas gehört. „Etwas“ ist hier im Wortsinn zu verstehen - ich konnte nicht genau definieren, was ich gehört habe, aber es kamen auf meinem „eigentlich“ tauben Ohr wieder Geräusche an. 8 Monate lang war meine linke Seite gefühlt „nicht da“, das Leben hat irgendwie nur noch rechts stattgefunden und plötzlich war da wieder was auf „links“! Das war ein unglaublich schönes Gefühl! Ich fühlte mich wieder vollständig und das machte mir so viel Freude.

Ich konnte gleich nach der Aktivierung erkennen das jemand spricht, aber nicht, was gesprochen wird. Nachmittags zuhause habe ich deutlich das Klappern einer Tasse auf der Untertasse wahrnehmen können und das Plätschern von Wasser war auch erkennbar. Es hörte sich alles noch extrem blechern an, vergleichbar mit den „Telefonen“ aus Blechdosen und Kordel, die wir als Kinder gebaut haben.

In der Folgewoche stand der erste Hörtest an. Ich hatte zuhause schon mit einer App geübt und auch schon mal einen kurzen Podcast gehört. Ich war echt gespannt was da jetzt raus kommt. Gefühlt war das der schlechteste Hörtest überhaupt! Das Ergebnis war aber gar nicht so schlecht. Ab einer gewissen Lautstärke stieg mein Sprachverstehen sprunghaft an.

Das heißt jetzt nicht, dass alles gut ist. Einem Gespräch nur über mein CI-Ohr zu folgen ist für mich „im echten Leben“ noch nicht möglich. Wenn mein Übungs-Gesprächspartner sehr langsam und überdeutlich spricht, kann ich vieles verstehen, manchmal muss ich aber auch raten.

Trotzdem ist diese Erkenntnis für mich so wichtig! Ich habe die richtige Entscheidung getroffen! Ich kann wieder hören und habe dadurch wieder etwas von meiner Lebensqualität und Freude zurückbekommen.

Meine Hörreise hat erst begonnen und ich weiß, dass ich noch einen langen Weg vor mir habe. Ich freue mich über jede noch so kleine Verbesserung. Ich weiß aber auch, dass ich das schaffe und dass es gut wird!

Claudia
September 2022