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Das Beste aus zwei Welten –

und versorgt mit Cochlea Implantat (CI) und Vibrant Soundbridge (VSB)

Von Julia Edler

Hallo mein Name ist Julia Edler (23 Jahre alt).

Ich war ein ruhiges kleines und zurückhaltendes Mädchen. Mich konnte man in eine Ecke setzen mit Spielzeug und ich spielte solange bis ich müde wurde. Meine Eltern merkten schnell, dass was nicht mit mir stimmte, denn ich reagierte nicht auf Zurufe und fing nicht an zu reden. Sie fuhren mit mir zu sämtlichen Ärzten, doch die meisten meinten, mein Ohr produziere zu viel Ohrenschmalz, es wurde dann abgesaugt, doch keinerlei Besserung war in Sicht. Bis zu meinem 5. Lebensjahr konnte keiner wirklich meinen Eltern sagen, was ich habe. Nur am Ohrenschmalz lag es ja dann offensichtlich nicht.

Doch dann gerieten wir an eine Ärztin in einer HNO-Ambulanz, bei der viele Untersuchungen auf mich zukamen, wie z.B. Hörtests (Lautstärke, Frequenz- und Sprachhörfähigkeit), Impedanzmessungen (Funktionsfähigkeit der Gehörknöchelchen) sowie Hirnstammaudiometrie. Zum Schluss erfolgte ein Abschlussgespräch, dort erfuhren meine Eltern, dass ich beidseitig hochgradig schwerhörig bin und an einer an Taubheit grenzenden Schallempfindungsschwerhörigkeit leide.

Darüber wurden meine Eltern aufgeklärt und ich wurde erstmals mit Hörgeräten versorgt. Ich war sehr begeistert davon, weil ich endlich die Geräusche wahrnehmen konnte. Ich war dreimal wöchentlich bei einer Logopädin und versuchte, das zu lernen, was ich die letzten fünf Jahre verpasst habe. Ich zeigte einen starken Willen und schaffte es innerhalb eines Jahres so viel aufzuholen, dass meine Ärzte sprachlos waren., weil sie so etwas auch noch selten erlebt haben, weil ich meine Sprachentwicklung so schnell aufgeholt habe.

Doch es lief nicht lange gut mit den Hörgeräten und ich verlor nach und nach mein Gehör, da sich meine Ohren ständig entzündet hatten. So wurde ich im Alter von zehn Jahren am 01.10.2008 mit einem Cochlea Implantat versorgt (links). Ich wusste nicht so wirklich, was auf mich zukommt. Doch als ich dann abgeholt wurde für die OP, weinte ich sehr stark und wollte nicht mit in den OP-Saal. Die Krankenschwestern beruhigten mich und lenkten mich ein wenig ab und erklärten mir alles Schritt für Schritt.

Nachdem die Operation komplikationslos verlief, wachte ich im Aufwachraum auf. Die Oberärztin kam am Abend nochmal vorbei und gab das OK, dass ich auf Normalstation verlegt werden darf. Dann ist der Tag gekommen und zwar die Erstanpassung. Die ersten Töne wurden gegeben und ich habe direkt etwas gehört und war sehr glücklich wieder etwas hören zu können, auch wenn erst einmal alles gleich klang.

Doch als wir auf dem Rückweg waren, hörten meine Mutti und ich wie ein Vogel auf die Frontscheibe kackte. Ich fragte meine Mutti, ob sie dieses Geräusch auch gehört hatte und sie fragte mich welches Geräusch ich meinte. Ich konnte ihr dann voller Freude zeigen und sagen, dass gerade eben ein Vogel auf die Frontscheibe gekackt hat.

Ich war sehr glücklich endlich wieder hören zu können.

Dann folgte am 14.01.2010 im Alter von 12 Jahren die Versorgung mit einer Vibrant Soundbrigde (rechts). Dort wusste ich schon eher, was auf mich zu kommt und hatte große Angst. Auch hier war der Ablauf gleich wie beim CI. Ich hatte panische Angst in den Operationssaal zu fahren, doch dann kam ein junger Pfleger und ich fragte, wie lange die Operation dauern würde. Er beantwortete mir die Frage und lenkte mich dann ab und fragte mich, ob ich mir denn schon einen schönen Traum ausgedacht habe. Daraufhin beantwortete ich die Frage mit „Nein“ und der Pfleger sagte mir dann in einem sehr ruhigen Ton, dass ich mir noch schnell einen Traum aussuchen soll, bevor ich schlafe. Dies habe ich dann getan und ich bekam das Narkosemittel.

Auch hier durfte ich, nachdem ich im Aufwachraum war, am Abend nach oben. Doch am Abend merkte ich, dass ich nur halbseitig etwas schmecke. Ich habe Wasser mit Geschmack getrunken, links war es total sauer und rechts merkte ich gar nichts, ich dachte, es läuft aus meinem Mund heraus.

Meine Mutti sagte der Krankenschwester Bescheid und sie teilte uns mit, dass die Ärzte bei der Operation mein Geschmacksnerv getroffen haben. Doch die Aussage war auch von der Krankenschwester, dass wenn der Geschmack nicht nach fünf Tagen zurückkäme, dann hätten die Ärzte den Nerv komplett durchschnitten. Das war erstmal ein Schock!

Tatsächlich hoffte ich von Tag zu Tag, dass mein Geschmack wieder zurückkommt und tatsächlich am fünften Tag kam mein Geschmack gegen Mittag wieder zurück und ich war sehr erleichtert.

Dann kam der große Tag „der Erstanpassung“!Auch hier konnte ich die Töne sofort hören und war sehr überwältigt. Ich wusste, jetzt kann es nur bergauf gehen, weil jetzt höre ich endlich auf beiden Ohren wieder.

Warum zwei unterschiedliche Prothesen? Weil sich auf der linken Seite mein Gehör so verschlechtert hat, dass nur noch ein Cochlea Implantat in Frage kam. Auf der rechten Seite hatte ich noch ein Restgehör von 60dB, deshalb bekam ich dort ein Vibrant Soundbrigde, denn dort habe ich das Hörgerät allergiebedingt nicht vertragen, wie sich erst später herausstellte. Sollte sich allerdings mein Gehör dort weiterhin verschlechtern, kommt auch rechts ein Cochlea Implantat in Frage.

Ich wurde in der 1. Klasse in eine normale Schule eingeschult mit 29 weiteren Kindern in einer Klasse, doch ich kam nicht hinterher im Unterricht, ich wurde von einer Lehrerin aus der Carl- Kehr Schule (eine Schule für Gehörlose und Schwerhörige) beobachtet und sie merkte schnell, dass ich die Schule wechseln muss und besprach alles weitere mit meine Eltern.

Ich ging dann von der 2. Klasse an bis zur 10. Klasse dort auf die Schule. Hier gab es kleinere Klassen mit max. 9 Schüler/innen in einer Klasse. Dort absolvierte ich 2017 meinen Realschulabschluss.

Wie steh ich dazu? Als ich die Implantate bekam, kam zunächst einmal viel Arbeit auf mich zu, wie z.B. die Reha, die ich aber mit Bravour absolvierte hatte. Ich bin in einer hörenden Familie aufgewachsen, doch im Jugendalter (14-17Jahre) war ich damit nicht mehr zufrieden, denn ich konnte mich nicht einordnen, zu welcher Welt ich gehöre, ob zur hörenden oder zur gehörlosen Welt. Ich lag oft am Abend im Bett und dachte mir, warum muss es mich betreffen. Warum kann ich nicht einfach gehörlos oder hörend sein. Ich war mit mir selbst unzufrieden, ich dachte ich war nicht so wirklich Willkommen.

Warum ich so dachte? Ich wurde von beiden Welten teilweise ausgeschlossen, sodass ich zunächst enttäuscht war, dass ich die Implantate hatte. In der Gehörlosenwelt hieß es immer: „Du hast Implantate und kannst gut lautsprachlich kommunizieren“. Doch in der Welt der Hörenden war es für die Hörenden zu anstrengend, mich beim Sprechen anzusehen, da ich zur Unterstützung auch auf das Mundbild achte. Ich bin für diese eine Last, wenn sie es noch einmal wiederholen sollten.

Doch im Jahr 2016/2017 änderte sich das, ich war froh, dass ich die Implantate habe und würde es immer und immer wieder tun. Klar, man weiß immer noch nicht, in welcher Welt man eigentlich zu Hause ist, aber es ist nicht schlimm, denn ich kann in beiden Welten abtauchen je nachdem, wie ich gerade drauf bin.

Woher der Sinneswandel kam? Ich habe gemerkt, es bringt nichts die Schuld bei sich zu suchen, ich sollte stolz sein, dass ich in beiden Welten abtauchen kann, denn ich kann lautsprachlich kommunizieren sowie in der Gebärdensprache.

Ich orientierte mich schon mehr in der Welt der Hörenden und setzte mir fest in den Kopf, dass ich meine Ausbildung zur Sozialassistentin als auch zur Heilerziehungspflegerin auf einer normalen Berufsschule machen werde.

Ich hatte in der Zeit, in der ich die Berufsschulen besuchte, Höhen und Tiefen und kam auch oftmals an meine Grenzen, aber ich habe mir immer wieder vor Augen gehalten, dass ich es schaffen werde.

2019 absolvierte ich meine Ausbildung zur Sozialassistentin mit Bravour und 2021 meine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin ebenfalls mit Bravour. In dieser Zeit haben mir die Implantate die Kommunikation allgemein erleichtert, natürlich mit Einschränkungen, denn ich kam auch schon an meine Grenzen.

2019 kam COVID-19 und wir mussten im Unterricht überwiegend mit Mundschutz sitzen, was mir die Kommunikation sehr erschwerte. Ich kämpfe mich durch und habe es geschafft, dass die Lehrer ohne Maske den Unterricht leiten, sodass ich wenigstens die Lehrer verstehen konnte. An Diskussionsrunden oder ähnlichem nahm ich nicht teil, ich war anwesend, aber ich konnte diese nicht verfolgen.

Trage ich die Geräte einzeln, klingen sie leicht unterschiedlich, aber wenn ich beide zusammentrage, harmonisieren beide Prothesen super zusammen. Ich verbinde Musik mit Gefühlen und Gebärden und setze gerne Lieder in Gebärdensprache um. Ich fahre auch sehr gerne mit dem Fahrrad, oder gehe auch sehr gerne Wandern, um einfach die Naturtöne auf mich einwirken zu lassen.

Seit 01.08.2021 arbeite ich als Heilerziehungspflegerin in einem Wohnheim für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Mir liegt es sehr am Herzen, den Menschen zu helfen, die auf Hilfe von uns angewiesen sind. Ich entschied mich für diesen Beruf, da ich mich gut in Menschen hineinversetzen kann, die auch eine Hörbehinderung haben und ich genau weiß, wie sie sich fühlen, z.B. wenn man nicht verstanden wird von Menschen, die nicht in solch einer Situation sind.

Ich habe auch schon sehr freundliche Kolleginnen kennengelernt, mit denen die Kommunikation in Lautsprache sehr gut klappt, aber auch Gebärdensprache beherrsche ich sehr gut, die ich seit der 2. Klasse gelernt und seither auch regelmäßig genutzt habe.

Ich möchte meine Implantate nicht mehr missen, es ist morgens das Erste, was ich an mache und abends das Letzte was ich wieder ausschalte. Ich bin so dankbar dafür, dass diese Technik heutzutage schon so weit ist.

Julia Edler
Januar 2022