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Mein langer Weg und die späte Liebe zum
Cochlea Implantat

Von Sascha Bartelheimer

Es war der Spätsommer des Jahres 1985, als ich als dreijähriges Kind nach einer gewöhnlichen Erkältung eine schwerwiegende Meningitis erlitt. Das Resultat war u.a. der vollständige Verlust meines Gehörs auf beiden Seiten. Glücklicherweise erholte sich mein Körper in den darauffolgenden Wochen und Monaten langsam von der Erkrankung und das Gehör auf der rechten Ohrseite kehrte geringfügig zurück. Seither habe ich ein linkes taubes Ohr und mein rechtes Ohr konnte durch die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit einseitig mit einem leistungsstarken Hörgerät versorgt werden.

Entsprechend meines Hörstands besuchte ich einen Kindergarten und eine Schule für Schwerhörige in Bielefeld – Sennestadt. Parallel dazu schulten mich meine Eltern intensiv in der richtigen Sprachanwendung und förderten somit mein korrektes Hörverständnis. Nicht lange blieb den Lehrer/-innen verborgen, dass ich auf der Sonderschule schnell unterfordert war und so wechselte ich auf eine Schule für Normalhörende in meiner Heimat.

Trotz des steinigen Weges mit vielen (Hör-)Barrieren und zahlreichen Herausforderungen, meisterte ich mein Abitur, schloss eine betriebliche Ausbildung zum Technischen Zeichner in Maschinen- und Anlagentechnik ab und absolvierte an der FH Bielefeld meinen Bachelor of Engineering in Maschinenbau. Heute bin ich als Developer Mechanical Design fest bei einem staatlichen Unternehmen angestellt. Meine dortigen Aufgaben umfassen die Konstruktion und Entwicklung von vollautomatisch ablaufenden Fertigungsmaschinen für Sicherheitsdokumente.

Obwohl das Thema Cochlea Implantat (CI) bereits im Jahr 1989 früh von meinem Ohrenarzt aufgegriffen wurde, nahm man hiervon nach der ersten Untersuchung in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) Abstand. Der damals noch geringe Erfahrungsschatz auf dem Gebiet der Cochlea Implantate verleitete die Ärzte zu der Annahme, dass eine OP auf der ertaubten Seite aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Hörerfolg einbringen wird.

Dennoch wurde ich in den kommenden Jahren immer wieder auf die Option eines möglichen CIs angesprochen. Je häufiger ich mit der Frage konfrontiert wurde eine Implantation in Erwägung zu ziehen, desto stärker stieß man bei mir auf Ablehnung. Grund hierfür war neben der durch die ärztliche Einschätzung verschrienen ‚Nutzlosigkeit‘ auch die Tatsache, dass ich keinen einzigen CI-Träger kannte, der mir in den Jahren über den Weg gelaufen ist. Somit hatte ich weiterhin das Bild eines CIs aus den frühen 80er Jahren vor Augen - einen riesigen Hörprozessor mitsamt großer Umhängetasche als Batteriekoffer, die ich unter keinen Umständen tragen wollte.

Glücklicherweise blieb mein damaliger Hörgeräteakustiker hart und betrieb immer wieder fleißig Überzeugungsarbeit. Er legte mir im Jahr 2010 den Besuch des 1. Bielefelder Hörtags nahe, einer Infomesse, die für Hörgeräte- und CI-Träger gedacht war. Außerdem gab er mir folgende Worte mit auf dem Weg: „Verlieren kannst du auf einer ertaubten Seite nichts. Im Vergleich zu damals ergeben sich mit der heutigen Technik ganz neue Möglichkeiten für eine erfolgreiche Operation. Schau dir die heutigen Hörprozessoren einfach mal in Ruhe an. Sie werden deine Sichtweise verändern.“

Mit einem müden Lächeln und mit keinerlei Erwartungshaltung machte ich mich auf den Weg zur Veranstaltung und ich fand mich mitten im Publikum der dortigen Podiumsdiskussion wieder. Der einschneidende Moment folgte schon nach ein paar Minuten, als eine neben mir sitzende ältere Dame ihre Frage an den beidseitig implantierten CI-Träger richtete, der oben auf dem Podium saß.

Da ich ihre Frage akustisch nicht ansatzweise verstanden habe, ging ich davon aus, dass es dem
CI-Träger ähnlich ergangen sein muss, zumal die Entfernung vom Publikum bis zum Podium nicht ganz unerheblich war. Zu meiner eigenen Überraschung kam prompt die Antwort und mit mir die Erkenntnis, dass über das CI ein deutlich besseres Verstehen möglich ist, als mit dem leistungsstärksten Hörgerät auf dem Markt. Weiterhin führten mir die zahlreich erschienenen CI-Träger deutlich vor Augen, dass die Hörprozessoren für die CIs in den vergangenen zwanzig Jahren viel ästhetischer und deutlich kleiner geworden sind. Meine Denkweise war demnach völlig überholt und ich hegte plötzlich eine leise Hoffnung auf mehr Hörverständnis.

Anschließend ließ ich mich an der MHH erneut untersuchen. Die modernen Testmethoden offenbarten, dass Hörerfolge auf meiner ertaubten Ohrseite durchaus zu erwarten seien. Meine Implantation erfolgte im Dezember 2011 und die Erstanpassungswoche sechs Wochen später.

Dennoch war am Anfang meine Enttäuschung ziemlich groß. Während andere Patienten bereits zügig Sprachverstehen vorweisen konnten, besaß ich nur die Fähigkeit ein paar wenige Geräusche wahrzunehmen. Schuld hieran war meine über 26 Jahre andauernde Ertaubungszeit, bei der das Hörorgan mitsamt zuständigem Gehirnareal wie ein verkümmerter Muskel agierten.

Beide galt es von nun an fleißig zu schulen. Durch tägliches Hörtraining in Form von mehreren Stunden eingeschaltetes Handyradio, welches einzig mit dem CI - Ohr gekoppelt war, baute ich meine Hörfähigkeit über die nächsten Monate immer weiter aus. Nach einer halbjährigen sehr zermürbenden Zeit, bei der ich nichts anderes als Brabbeln wahrnahm, kamen endlich die ersten klar verstandenen Worte durch. Zwei Jahre nach der OP erhielt ich meine erste Hörkur in St. Wendel. Durch die tägliche Nachjustierung des Hörprozessors konnte ich dort mein Sprachverständnis innerhalb von sechs Wochen auf 75% fast verdreifachen.

Eine OP auf meiner Hörgeräteseite kam für mich weiterhin nicht in Frage. Grund hierfür war die Tatsache, dass mein Sprachverständnis im Störschall mit dem Hörgerät bedeutend größer war, als auf der CI-Seite, auf der es bei nahezu Null lag. Darüber hinaus nahm ich über das Hörgerät viele Töne wahr, die ich auf der CI Seite nicht hörte. Auf diese Gegebenheiten wollte ich in Zukunft nicht verzichten müssen.

Als ich im Jahr 2019 einigen CI-(Selbsthilfe-)Gruppen wie DOA NRW, HannoVerhört und der Bundesjugend beitrat, lernte ich einige bilateral versorgte CI-Träger/-innen kennen. Ich hörte mir deren Hörgeschichten an und sah, dass viele deutlich besser und mehr hörten als ich. Außerdem brachte mein Implantat-Hersteller Med-EL im Jahr 2020 neue Hörprozessoren mit einer Zweimikrofontechnik auf dem Markt. Die neue Technik testete ich ausgiebig aus und konnte schnell registrieren, dass auch ein Hören im Störschall mit einem CI gegeben ist.

Also wagte ich im April 2021 den Schritt zur zweiseitigen CI-Versorgung. Wieder an der MHH operiert, schaltete man bereits nach zwei Tagen den Hörprozessor ein. Dabei machte ich erstmals Erfahrungen mit der berühmten Micky Maus Stimme sowie dem reibeisenartig klingenden Gesang bei Liedern.

Vier Wochen später hörte sich die Welt tonal wieder genauso an, wie ich es auf der Seite mit dem Hörgerät gewohnt war. Weitere zwei Wochen später stellte man bei der Erstanpassungswoche fest, dass sich mein Wortverständnis bereits um 10% verbessert hat. Schon jetzt bin ich gespannt, wohin mich meine Hörreise zeitlebens noch bringen wird.

Insgesamt lässt sich sagen, dass meine beiden Ohrseiten unterschiedlich gut bzw. laut hören. Geschuldet ist dies den ungleichmäßig stark ausgeprägten Verknöcherungen auf den Ohrseiten infolge der Meningitis. Insgesamt nehme ich die Welt heute mit den beiden CIs viel lauter und detaillierter wahr als zuvor. Auch das Sprachverstehen kommt besser durch. Somit bin ich froh, meine Entscheidung pro CI gewählt zu haben, denn missen möchte ich sie nicht mehr.

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle Wegbegleiter, die mich auf meinem langen Weg zum CI bestärkt haben.

Sascha Bartelheimer
Juni 2021