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Long, long time ago...

Von Lena Stöppler

(ergänzt um die Perspektive ihrer Mutter Christa)

Vor 18 Jahren schrieb meine Mutter einen Bericht über ihre Erfahrungen mit ihrer hörgeschädigten Tochter. Heute kann ich meinen Standpunkt teilen.

Mittlerweile trage ich die Cochlea Implantate (CI) von MedEl schon seit 18 und 19 Jahren. Bisher stand bei mir noch keine Reimplantation an und dies scheint auch weiterhin in absehbarer Zeit nicht der Fall zu sein. Seit dieser Zeit hat sich natürlich einiges getan: Therapie/Reha/Logopädie/Frühförderung…

Wie durch den Therapeuten bereits prognostiziert, war es mir möglich, die Regelschule zu besuchen. Gott sei Dank hatte ich während der Schulzeit keine großen Probleme mit den Lehrkräften und den Mitschülern. Glücklicherweise waren meine Mitschüler und Mitschülerinnen größtenteils so lieb und haben wiederholt, was gesagt wurde. Eine Situation bleibt mir aber bis heute in Erinnerung: Die Lehrerin hatte netterweise von sich aus gefragt, ob sie bei dem Film die Untertitel anmachen soll. Daraufhin sagte eine Mitschülerin: „Och neee, die Untertitel stören so im Bild.“ Das hatte ich gar nicht gehört, sondern eine Freundin hatte es mir erzählt. Ich habe sie nicht zur Rede gestellt, was ich aber im Nachhinein anders machen würde. Die Schulzeit habe ich 2020 (also letztes Jahr) nach zwölf Jahren erfolgreich mit dem Abitur abgeschlossen. Leider in einem Corona-Jahr, wodurch wir keine Abschlussfeier hatten. Dann stand die Frage im Raum: „Was mache ich nun jetzt eigentlich?“

Seit April diesen Jahres studiere ich nun Sonderpädagogik auf Lehramt in Heidelberg mit den Fachrichtungen Hören und Geistige Entwicklung. Mir wurde einfach durch die ganzen Fachkräfte, die mich im Laufe meines bisherigen Lebens begleitet haben, so eine tolle und wertvolle Unterstützung zuteil. Diese möchte ich anderen Kindern auch ermöglichen.

Mein Studienstart ist sehr anders als sonst: bisher kein Umzug, kaum bis gar kein Präsenzunterricht. Stattdessen zum Großteil online über Zoom o.ä. Dennoch komme ich dank Übertragungsanlage gut klar und komme gut mit. Auch hier habe ich bisher echt Glück mit den Kommilitonen und den Dozenten, da sie sich sehr bemühen, auf meine Bedürfnisse einzugehen oder mir Mitschriften zur Verfügung gestellt werden. Ich bin noch total gespannt, wie das Studium weiter verlaufen wird! Vor allem dann in Präsenz.

Im Alltag komme ich auch echt gut zurecht – aktuell ist es natürlich zum Beispiel mit den Masken schwieriger. Am besten kann ich andere in stiller Umgebung verstehen. Viele sind am Anfang oftmals erstmal überrascht, dass ich hörgeschädigt bin und sagen: „Wow, man hört dir das ja gar nicht an!“ Aber auch ich komme zum Beispiel in Restaurants, in denen die Hintergrundgeräusche sehr laut sind, an meine Grenzen. Oder wenn ich mich mit mehreren Freunden treffe und viele Gespräche gleichzeitig am Laufen sind, sowie Musik im Hintergrund läuft. Aber ich denke, das kennen wir alle. 

Lange Zeit hatte ich auch kaum Kontakt zu anderen Betroffenen, aber dank der Online-Spieleabende der Bundesjugend, habe ich nun doch einige Kontakte knüpfen dürfen. Ich war immer der Meinung, dass ich diesen Kontakt gar nicht brauchen würde. Mittlerweile merke ich aber, dass es sehr wohl guttut. Ich habe nämlich nochmal sehr viel lernen dürfen; nämlich für meine Bedürfnisse bestmöglich einzustehen und dem Gegenüber klar zu sagen, wie mit mir kommuniziert werden muss.

Beispielsweise gabs folgende Situation mit meinem Bruder. Wir befanden uns in einem leeren Raum. Er sagte etwas zu mir, allerdings lief er aber von mir mit dem Rücken zugewandt weg. Daraufhin meinte ich zu ihm: „Du musst mich anschauen. Ich verstehe dich nicht, es hallt zu sehr.“ Weil ich so klar formuliert habe, was ich in diesem Moment von ihm brauche, damit ich ihn verstehen konnte, konnte er es sofort umsetzen. Also: Sucht den Kontakt zu Mitbetroffenen!

Bericht meiner Mutter:

Unglaublich, nun sind die CI’s unserer Tochter volljährig geworden. 😊 

Vor 18 Jahren, als Lena zum zweiten Mal implantiert wurde, konnten wir noch nicht absehen, wie ihr Weg einmal verlaufen wird. Das kann zwar kein Elternpaar, aber ehrlich gesagt, war es schon eine sehr „umwerfende“ Nachricht, dass unser Kind gehörlos ist.

Viele Tränen wurden geweint, die heute beim Lachen mit Lena verdrückt werden. Es ist wirklich eine große Freude zu sehen, dass sich der manchmal auch herausfordernde Weg gelohnt hat. Wir haben uns bemüht Lena mit „gesundem Ehrgeiz“ zu fördern, der zu unserer Familie gepasst hat. Denn eine solche Diagnose betrifft letztlich die ganz Familie, die sich damit auch ganz anderen Herausforderungen gegenübersieht.

Dank Lenas sonnigem Gemüt und den Möglichkeiten, die wir in Deutschland nutzen können (Frühförderung, Stationäre Wechselgruppe, CI-Reha, Ärzte, Technische Hilfsmittel, Logopädie, Betreuung von Hörgeschädigten-Pädagogen in der Schule) und auch privater Initiativen (Besuch bei Susanna Schmid-Giovannini, Gisela Batliner, Austausch mit anderen Eltern und Betroffenen) haben wir Lena zu einem guten Start in die hörende Welt verhelfen können. Unser großer Dank gilt hier all denen, die mit Liebe, Freude und Elan sich dem Wohl unserer Tochter und uns gewidmet haben.

Natürlich gab es auch Begebenheiten, die schmerzhaft waren: Wenn Lena sich ausgegrenzt gefühlt hat, wenn andere lachten oder tuschelten, Zickereien, die vielleicht auf Missverständnissen beruhten, genervte Blicke, wenn Infos öfter wiederholt werden müssen…

Für mich als Mutter war es besonders schmerzhaft bei einem Elternabend negativ darauf angesprochen zu werden, dass man ja mit einem behinderten Kind in der Klasse gewisse Einschränkungen hätte. Dabei war es eigentlich für die Mitschüler immer von Vorteil, dass ein hörgeschädigtes Kind mit in der Klasse war. Es wurde mehr auf Ruhe geachtet und auch die Materialien waren etwas ausführlicher.

Zum Glück vergisst man solche Momente auch wieder und für Lena überwiegt wohl auch all das Positive, das sie während ihrer Schulzeit erlebt hat. Und wie durch einen Zeitraffer ist nun unsere „Kleine“ eine ganz „Große“ und geht ihren eigenen Weg mit Freude, Ehrgeiz und Gottvertrauen.

Wir freuen uns über all das Gute, dass mit und durch Lena in unser Leben gekommen ist und uns unendlich bereichert hat.

Lena Stöppler
Juni 2021