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Unser Weg zum Cochlea Implantat – eine lange Reise

Von Silke

Bis zur Geburt meiner Kinder hatte ich keinerlei Bezug zum Thema Schwerhörigkeit oder Taubheit, wir wussten noch nicht, dass mein Mann und ich beide Träger eines Gendefekts namens Connexin 26 waren.

Nach der Geburt meines Sohnes Jonas im Sommer 2016 funktionierte der Neugeborenenhörtest nicht, doch da er per Sectio entbunden wurde, versicherte man mir, das liege bestimmt an Fruchtwasser im Ohr. Natürlich versuchten wir den Test beim Kinderarzt zu wiederholen, doch Jonas wurde wach, sobald man ihn auch nur anfasste. Die einzige Möglichkeit wäre eine BERA in der Pädaudiologie gewesen. Aus heutiger Sicht natürlich der richtige Weg, doch damals, gerade erst Mutter geworden, das Stillen klappte nicht so richtig, insgesamt ein wenig überfordert, schien mir das ein riesen Aufwand. Da ich ihn aber ja beobachtete, dachte ich mir: „ich weiß doch, dass er hört“. Dass das natürlich nicht reicht, das weiß ich heute und all die Vorwürfe, die man jetzt beim Lesen vielleicht im Kopf hat, die habe ich mir bereits selbst gemacht.

Irgendwann als Jonas etwas über ein Jahr alt war, sagte mir mein Bauchgefühl, dass etwas nicht stimmt, dass er reden müsste bzw. will. Kurze Zeit später hatte er erneut eine Mittelohentzündung, die auch behandelt wurde, aber anscheinend nicht richtig ausgeheilt war, obwohl wir nach der Antibiotika Behandlung zur Kontrolle beim Kinderarzt waren. Auffällig wurde, dass er schnell wütend war und schließlich mit dem Kopf auf den Tisch schlug. Eine erneute Vorstellung beim Arzt ergab einen schwerwiegenden Paukenerguss. Im Anschluss an die notwendige Operation wurde ein Hörtest durchgeführt, der ergab, dass er beidseitig mittel- bis schwergradig hörgeschädigt ist. Das war natürlich ein großer Schock, vor allem da uns dieses Ergebnis nicht wirklich schonend beigebracht wurde. Zunächst glaubten wir noch, dass die Mittelohrentzündungen „schuld“ waren, da er eine Zeit lang geplappert hatte. Er wurde mit knapp zwei Jahren mit Hörgeräten versorgt und er akzeptierte sie von Anfang an. Leider musste er sprachlich einiges aufholen, was dazu geführt hat, dass er in der Kita häufiger körperlich, statt sprachlich reagiert hat.

Im Winter 2019 kam unsere Tochter Hannah auf die Welt. Nachdem auch bei ihr das Hörscreening nicht klappte, wurde uns klar, dass es ein genetisches Problem sein musste. Lange, vielleicht zu lange, versuchten wir es mit Hörgeräten, da dies bei ihrem Bruder so gut klappte und sie mit 80-90 DB Hörschwelle keine eindeutige Kandidatin für ein Cochlea Implantat (CI) war, auch wenn ich das heute anders sehe.

Wir haben einige Kliniken hinter uns, teils Fehlinterpretationen von BERAs erlebt und sind letztlich im Hörzentrum Düsseldorf angekommen. Die CI-Voruntersuchung mit der Narkose-BERA ergab für uns endlich eine zuverlässige Diagnose und Prof. Klenzner wirkte auf uns von Anfang an vertrauenswert. Wir wurden nicht enttäuscht. Hannah wurde mit 15 Monaten beidseitig implantiert, mitten im ersten Corona – Wahnsinn, inklusive der Angst, dass die Operation verschoben werden muss. Seit sie ihre neuen Hörlis hat, ist sie begeistert. Sie trägt sie von morgens bis abends. Meine Furcht, dass sie Musik nicht als schön empfinden könnte, war völlig unbegründet. Sie macht tolle Fortschritte und wird ihren Rückstand bald aufgeholt haben.

Während unsere Aufmerksamkeit naturgemäß in dieser Zeit bei unserer Tochter war, hatte Jonas eine Routineuntersuchung. Das Ergebnis war eine Verschlechterung beidseits um ca. 15 dB. Die nächste Katastrophe. Zunächst ungläubig, da es sich „nur“ um einen subjektiven Reaktionstest handelte, wurde ich von der eindeutigen Reaktion meines Sohnes auf die Neueinstellung der Hörgeräte schnell eines Besseren belehrt („Mama, jetzt höre ich dich ja richtig“). Ich hätte sofort in Tränen ausbrechen können. Die Diagnose war aber doch nicht vollständig richtig, denn die CI-Voruntersuchung im Hörzentrum Düsseldorf bestätigte zwar die Verschlechterung, jedoch war das linke Ohr und nicht das rechte deutlich schlechter geworden, sodass ein CI irgendwann unumgänglich sein würde. Durch die positiven Erfahrungen mit meiner Tochter konnte ich es relativ gefasst hinnehmen und dachte mir, wenn es eh sein muss, dann lieber direkt, damit das Gehirn lernt, damit umzugehen. Kurz nach der OP erfuhren wir von dem Gendefekt und dass wir eine 25%ige Wahrscheinlichkeit haben, Kinder zu bekommen, die hörgeschädigt sind. Ich konnte der Wahrscheinlichkeitsrechnung noch nie etwas abgewinnen.

Die Anpassung erfolgte bei Jonas sehr zügig und nach einer kurzen Gewöhnung akzeptierte er sein neues Knopf-Hörli sehr gut. Seine Sprache wurde viel deutlicher und es lässt sich kein deutlicher Unterschied mehr zu Gleichaltrigen erkennen, vor allem nicht beim Wortschatz.

Inzwischen möchte er sogar ein zweites CI haben, da er von dem Knopf-Hörli schönere Töne bekommt. Sein gutes Ohr ist aber auch nicht wirklich gut, mit einer Hörschwelle beginnend bei 70 dB aber bis 100 dB abfallend, so dass das SoundRecover eingestellt werden musste, um hohe Töne in tiefere umzuwandeln, laienhaft ausgedrückt.

Deswegen befinden wir uns nun erneut in dem Vorbereitungsprozess für die zweite CI-OP von Jonas, es müssen noch einige Abwägungen stattfinden. Ich bin aber beeindruckt davon, wie deutlich er seinen Wunsch nach einem zweiten Knopf-Hörli äußert.

Es war ein langer Weg, voller Tränen, Verzweiflung und Unverständnis. Voller Frustration aufgrund der schwierigen Diagnosen, falscher Diagnosen und mehrerer Klinikwechsel bzw. Zweitmeinungen. Doch wenn ich mir meine zwei angucke, wie toll sie sprechen können, wie viel Freude sie an Kommunikation und Sprache haben, dann war es der richtige Weg. Er hätte bei beiden früher eingeschlagen werden können, bei Jonas muss ich mir den Schuh selbst anziehen, bei Hannah hat es etwas gedauert, bis ich dieses CI als Chance begreifen konnte und wir bereit waren, diese Operation machen zu lassen. Umso mehr freut es mich, wenn ich im Wartezimmer des Hörzentrums auf andere Eltern treffe, die vor dieser Entscheidung stehen. Sie sehen meine Tochter und erkennen, was möglich ist, dass es nicht schrecklich oder blöd aussieht, sondern dass es einfach dazu gehört. Deswegen verstecken wir die Hörlis auch nicht, sondern verschönern sie stattdessen mit Aufklebern.

Es wäre schön, wenn Hörhilfen, welcher Art auch immer, genau wie Brillen als etwas Selbstverständliches angesehen würden. Spielsachen mit Cochlea Implantaten wären ein wichtiger Schritt dahin und wir freuen uns schon auf die Mini-Figuren mit CI. laughing

Von Silke
Mai 2021