Skip to main content

Effata – „Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen“

Von Pfarrer Klaus Koltermann

Quelle: Spiegel.de

Mittlerweile sind viele Jahre vergangen, dass ich auf beiden Ohren das Cochlea Implantat (CI) trage. Ich bin sehr froh, dass ich mich 2008 bzw. 2009 auf die Operation eingelassen habe.

Von meinen vier Geschwistern, gehört auch mein ältester Bruder von Geburt an zu den Schwerhörigen. Von daher habe ich als Hörgeschädigter die Hauptschule in Köln und schließlich die Realschule in Dortmund besucht. Es war für meine Persönlichkeitsentwicklung eine wichtige und auch schöne Zeit zu lernen sich mit der Hörbehinderung auseinanderzusetzen. Zugleich wurde ich auch geprägt durch das Zusammenleben mit Gleichgesinnten im Internat.

Doch schon bald entstand der Wunsch, das Abitur machen zu wollen. Aber wo?

Sicherlich hätte ich es in Essen machen können aber ich wollte es auf einem Regelgymnasium versuchen – in Bonn, in meiner Heimatstadt. Dazu benötigte ich eine zusätzliche Mikrofonlage, die bereitwillig von den Lehrern und Lehrerinnen getragen wurde.

Mit deren Unterstützung konnte ich das Abitur machen und 1986 begann ich das Studium der katholischen Theologie an der Universität in Bonn. Da ich Priester werden wollte, wohnte ich mit meinem Semester in einem Theologenkonvikt. Auch an der Universität musste ich die zusätzliche Mikrofonanlage nutzen und denn ich konnte nicht immer den Vorlesungen folgen. Bücher und Skripten studieren und intensiv lesen prägten das Studium.

Nach dem Abschluss und verschiedenen Praktika konnte ich die Priesterweihe 1993 empfangen. Für mich als mittlerweile an Taubheit grenzender Schwerhöriger war klar, dass ich nie eine normalhörende Gemeinde werde leiten können, sondern ich orientierte mich eher an einen künftigen Einsatz in der Schwerhörigen- oder Gehörlosen-Seelsorge.

Doch es kam anders: Schöne und ermutigende Erfahrungen konnte ich zunächst in meiner Kaplanzeit in Köln-Sülz und später in Wuppertal-Vohwinkel verbringen. Und 2001 wurde ich vom Bistum für eine freiwerdende Pfarrersstelle in Dormagen angefragt. Dort bin ich nun dieses Jahr zwanzig Jahre tätig.

Die Anfangsjahre haben mir aber sehr schnell die psychischen Grenzen der Belastbarkeit aufgezeigt: Die abendlichen Sitzungen mit acht oder gar zehn Personen kosteten sehr viel Konzentration und Kraft. Schließlich bedeutet Leitung, dass der zu Leitende auch die Redebeiträge ordnen, verstehen und beantworten kann. Zwischenzeitlich ergab eine weitere Hörmessung, dass ich weitere Hörfrequenzen verloren hatte. Daraufhin gab mir damaliger HNO-Arzt die Empfehlung, sich unverbindlich in Hannover untersuchen zu lassen. Umfangreiche Untersuchungen standen an und Anfang 2008 erfolgte die erste CI-Operation. Ich muss eingestehen, dass ich diese Kopfoperation anfänglich in ihren Auswirkungen unterschätzt habe, weil ich davon ausgegangen bin, nach kürzester Zeit wieder arbeiten zu können. Doch naturgemäß dauert ein solcher Genesungsverlauf länger.

Die erste Anpassung versetzte mich aber schnell in Euphorie: das erstmalige Hören von Regentropfen; das Zwitschern der Vögel; das Radiohören im Auto und überhaupt konnte ich die klassische Musik viel besser wahrnehmen. Obwohl ich zunächst einseitig das CI-Implantat hatte, verspürte ich im Alltag eine sehr große Erleichterung und auch psychische Entlastung in den Seelsorgegesprächen und insbesondere bedeuten die abendlichen Sitzungen seitdem keine Stress-Situation.

Erst recht, nachdem ich das zweite CI 2009 erhalten habe, konnte ich mich weitgehend vom Lippenlesen lösen. Ein angenehmer Nebeneffekt: Selbst das Solo-Singen erklingt nun in den Gottesdiensten nicht mehr abgehoben und mit der Gemeinde lässt es sich auch nun auch leichter im Gleichklang singen.

Da vieles von der Verständigung abhängt, hat sich auch meine Lautsprache verbessert, was natürlich den Predigten, Ansprachen und Reden zugutekommt. Letzten Endes übe ich einen kommunikativen Beruf aus, der vom Hören und Verstehen ausgeht. Insofern bin ich gerne CI-Träger und stehe dazu in der Öffentlichkeit.

Klaus Koltermann

März 2021

Foto: Jazyk, Hans (jaz)