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Es sollte so sein – oder Back again!

Von Gerda Döhler

Meine große weite Welt war plötzlich so klein geworden – so still….

Nachdem ich auf einer Reise mein rechtes Hörgerät verloren hatte, sollte ich mich doch eigentlich über meine Unachtsamkeit ärgern, denn ich hatte es in die Jackentasche gesteckt, da es mal wieder drückte. Beim Herausziehen eines Taschentuches ist es dann wohl passiert. Aber eigentlich war ich auch froh über diesen Verlust, brachte es doch nach fünf Jahren eh nicht mehr die gewohnte Leistung oder war schlecht eingestellt. Das neueste und beste Gerät sollte es nun für dieses Ohr sein.

In meinem Eifer fiel mir gar nicht auf, dass mein Akustiker etwas betreten schaute, als ich zu ihm kam. Auch sein „Ich weiß nicht, ob das noch etwas nützt“ weckte keinen sonderlichen Verdacht in mir. Das neue Gerät kam und wurde getestet. Vom Ergebnis war ich mehr als enttäuscht, dachte aber immer noch, es muss sicher noch einmal besser eingestellt werden.

Aber nein, und auch ein weiteres Testgerät brachte keinen Hörerfolg, ob ich es trug oder nicht. So schummelte ich mich nun – sehr wenig verstehend - mit nur noch einem Hörgerät durch den Alltag, der aber immer schwieriger und anstrengender wurde, bis ich mich einfach nur noch gestresst fühlte. Mein Besuch beim HNO-Arzt änderte dann alles….

Auf mein „Ich bin am Rande der Gesellschaft“ entgegnete er mit einem Blick auf meinen Hörtest: „Sie sind raus aus der Gesellschaft! Da hilft nur noch“… „ein Implantat“ fiel ich ihm ins Wort.

Kurz darauf hatte ich einen Termin in der Uniklinik Frankfurt. Nach einem längeren Gespräch meinte die Ärztin, ich sollte mir ruhig Zeit lassen mit der Entscheidung für ein Cochlea Implantat. Auf mein „Ich habe mich entschieden“ reagierte Sie sehr erstaunt, war es wohl noch nicht vorgekommen, dass sich jemand auf der Stelle für ein Cochlea Implantat entscheidet. Als ich dieses dann anschauen durfte, bereute ich kurz meine schnelle Entscheidung, hatte ich mir doch einen kleinen Chip im Kopf vorgestellt.

Aber die Aussicht, wieder kommunizieren zu können, überzeugte mich dann doch ziemlich schnell. Es folgten die erforderlichen Untersuchungen, ein OP-Termin wurde festgelegt und der Eingriff durchgeführt.

Drei Monate später trat ich meine Reha in Bad Nauheim an und hatte dort ein einschneidendes Erlebnis. An einem behandlungsfreien Sonntag nahm ich an einer vom Tourismusbüro geführten Wanderung teil. Es ging über Wiesen und durch Wälder, gedankenverloren genoss ich im März die ersten Sonnenstrahlen. Bis plötzlich unser Guide stehen blieb und sagte: „Hören Sie den Specht?“ Alles lauschte, so auch ich … und plötzlich hörte ich ganz deutlich diese Klopfzeichen tok – tok - tok.

Ich musste mich schnell umdrehen, da mir die Tränen in die Augen geschossen waren – ich höre mit meinem Implantat!!!!! Von da an ging es stetig bergauf mit den Hörerfolgen - in der Klinik, das Zwitschern der Vögel, selbst der tropfende Wasserhahn nervte wieder, es war wie eine Erlösung. Ich hatte meine Freiheit wieder und eine neue Lebensqualität gewonnen. Ein halbes Jahr später genoss ich in „meinem“ Land - in Laos - die murmelnden Gesänge und die eintönigen Trommeln der Mönche in den Klöstern. In diesem Moment habe ich mir gewünscht, dass ich mein Hörgerät doch schon viel früher verloren hätte!

Ein Jahr später musste auch mein linkes Ohr implantiert werden, die Entscheidung fiel mir natürlich nicht schwer. Denn meine große weite Welt war längst zurückerobert.

Gerda Döhler
November 2020