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Spät, aber besser als nie! (Teil 1)

Von Matthias L.

Der Lebenslauf meiner „Hörbiographie“ bis zur ersten Cochlea-Implantation

Ich bin Matthias und seit meiner Kindheit an an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit erkrankt. Bislang kam ich gut mit Hörgeräten klar. Mittlerweile bin ich 42 Jahre alt und habe mich dazu entschlossen, etwas zu ändern, um auch ein Stück Lebensqualität zu gewinnen.

Meine besondere Hörgeschichte fing mit einer Mumpserkrankung an. Als ich ca. ein Jahr alt war, stellte sich in der MHH heraus, dass ich schwerhörig bin und dass die Krankheit offensichtlich dazu beigetragen hat. Nachdem die Diagnose feststand, wurde ich umgehend mit einem Hörgerät versorgt. Allerdings handelte es sich dabei um ein „Mono-Taschengerät“.

Meinen Eltern wurde sehr schnell klar, dass diese Hörhilfe keine optimale Versorgung war. Mit Hilfe meines sehr engagierten HNO-Arztes bekam ich nun zwei HdO-Geräte (d.h. Stereophones Hören) nach dem neuesten Stand der Technik. Von Anfang an stand fest, dass ich lautsprachlich aufwachsen sollte.

Somit haben sich meine Eltern eingehend über sprachliche Früherziehung informiert. Schon im Kleinkindalter wurde mir eine häusliche Spracherziehung durch einen Pädagogen der Gehörlosenschule aus Hildesheim zuteil. So kam ich zunächst in einen Sonderkindergarten für hör- und sprachbehinderte Kinder. Hier bekam ich die Förderung einer Logopädin. Desweiteren kümmerte sich mein Vater intensiv darum, dass ich eine gute Hörgeräteversorgung bekam. Das Cochlea-Implantat gab es damals zwar schon, allerdings war dies eine Neuheit und noch in der Entwicklung. Ich habe vom ersten bis zum letzten Hörgerät immer Phonak-Hörgeräte getragen.

Die Schulzeit

Nach der Zeit im Kindergarten kam ich in eine Regelschule und besuchte die Grundschule (Klasse 1-4) in meinem Heimatort in Wennigsen. Das war übrigens nicht selbstverständlich, denn die „Inklusion“ war damals noch kein Thema. Ich war damals der erste und einzige Schwerhörige an den Schulen meines Heimatortes! Als technisches Hilfsmittel bekam ich eine Mikroportanlage, womit ich die Lehrer und Mitschüler verstand und den Unterricht besser verfolgen konnte.

In der Grundschule (Klasse 1-4) funktionierte es noch sehr gut. Die meisten Wortbeiträge kamen von meiner Klassenlehrerin. Dies änderte sich jedoch schlagartig in der Orientierungsstufe (Klasse 5-6). Die vermehrten Wortbeiträge meiner Mitschüler konnte ich trotz FM-Anlage nicht verstehen. So gingen wichtige Informationen an mir vorbei. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass das nicht genügte und ich auch viel in meiner Freizeit nacharbeiten musste, um auf den Stand der anderen MitschülerInnen zu gelangen bzw. zu bleiben. Mein Vater half mir, wo immer er konnte und investierte sehr viel Zeit in die Nacharbeit des jeweiligen Lernstoffes.

Nach der Grundschule besuchte ich die Orientierungsstufe (Klasse 5-6) und anschließend die Realschule (Klasse 7-10) in Wennigsen Nach meinem Realschulabschluss stand für mich fest, dass ich mein Abitur machen wollte. Auch wenn ich wusste, das dieser Weg ein steiniger werden würde.

Ich ging somit nach Hamburg auf das Lohmühlengymnasium. Dieses Gymnasium hatte speziell für hörgeschädigte Schüler Klassenräume errichtet, in denen die Schüler mit einer maximalen Anzahl von 13 Schülern im Halbkreis saßen (paradiesische Zustände). Dies erleichterte das Hören und Verstehen des Unterrichtes enorm. Ich bestand mein Abitur 1997. Das war es, was zählte und worauf ich stolz war.

Dann ging es wieder zurück in meine Heimat und ich machte in Hannover beim Katasteramt eine Ausbildung zum Vermessungstechniker. Ein unbefristeter Arbeitsvertrag wurde mir nach meiner Ausbildung leider nicht angeboten. Ich entschloss mich darauf hin, ein Studium der Geoinformatik zu beginnen.

Nach kurzer Zeit musste ich jedoch feststellen, dass es für mich unmöglich war dem Inhalt trotz technischer Hilfsmittel (Mikroportanlage) zu folgen. Ich ging zurück in meine Heimat.  Der Berufseinstieg war dann nicht unproblematisch. Nach mehreren Kurzeinstellungen in Ingenieurbüros fand ich 2006 eine feste Einstellung im Katasteramt in Salzgitter. Später wurde ich noch nach Braunschweig in die dortige Katasterbehörde versetzt. Dort stellte sich nach fast zwei Jahren heraus, dass ich in diesem Beruf sehr unglücklich geworden bin. Dies führte mitunter zu schwerwiegenden psychischen Problemen. Auffällig war auch, dass ich abends immer sehr schnell müde und mental völlig niedergeschlagen war. Es folgte ein zehnwöchiger Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik für Hörgeschädigte in Lengerich, Dort ist mir bewusst geworden, dass ich mich beruflich umorientieren sollte. Anstrengend für mich war stets, dass meine Kommunikation immer nur durch ständiges Lippenablesen und Kombinieren von Wörtern/Sätzen bestimmt wurde.

Meine Freizeitgestaltung

Ich schloss mich vor einigen Jahren einem Dartsportverein für Gehörlose an. Dort lernte ich erstmals CI-Träger kennen. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass einige CI-Träger sogar ohne Probleme telefonieren konnten.

In dieser Zeit machte ich einen Mini-Job in der DRK-Kaufbar. In der dortigen Verwaltung eignete ich mir die ersten Erfahrungen mit Kassenabrechnungen und Kassenbuchführung an. Diese Kenntnisse konnte ich im Gehörlosenverein als Kassenwart anwenden und brachte mich somit ehrenamtlich mit ein.

Da mir der Job so viel Spaß bereitete, entschloss ich mich ein Fernstudium zum Buchhalter zu absolvieren. Dieses bestand ich mit einer „glatten“ 1.

Jedoch stellte sich auch nach meinem sehr guten Abschluss zum Buchhalter heraus, dass auch diese Berufswahl gewisse Barrieren mit sich brachten. Das Telefonieren, eine wichtige Tätigkeit in diesem Beruf, war mir leider mit meinen Hörgeräten nicht möglich.

Ich wurde neugierig auf mehr. Das Umfeld, die Erzählungen und die Erfahrungen mit den CI-Trägern waren der Impuls, um mich nach ca. fünf Jahren dem Cochlea Implantat langsam zu öffnen.

Nachdem ich mich fast zwei Jahre erfolglos auf bestimmte Buchhalter-Stellenanzeigen beworben hatte, bestärkte mich dies, mich intensiver mit dem Cochlea Implantat zu beschäftigen.

Ich wusste von einem Kontakt aus meiner Facebook-Gruppe der HCIG e.V., dass die MHH ein Sommerfest veranstaltete. Hier sammelte ich erste reale Kontakte zu anderen CI-Trägern und Informationen zu den dort anwesenden namenhaften CI-Firmen. Dieses Sommerfest sollte mein Leben grundlegend verändern.

Meine Eltern und meine jüngere Schwester standen von Anfang an und ohne Skepsis voll hinter meinem Vorhaben.

Das CI-Screening

Ich wollte mich nun auf die CI-Indikation testen lassen. Diese Untersuchung wurde dann Anfang August 2017 direkt durchgeführt.

Ich war natürlich sehr aufgeregt und hoffte auf „grünes Licht“. Durch meine Aufregung konnte ich am Vorabend kaum einschlafen. Es schwirrten zu viele Gedanken in meinem Kopf herum. Was wird sein, wenn eine CI-Implantation nicht möglich ist? Aber ich beruhigte mich selbst sehr schnell wieder, als ich an all die Worte von den anderen CI-Trägern dachte, denen ich meine letzte Hörkurve von 2005 gezeigt hatte.

 

Man sagte mir, dass eine Implantation mit dieser Hörkurve mehr als wahrscheinlich ist. So schlief ich, nach meinen kurzen Bedenken, mit positiven Gedanken ein. Am frühen Morgen fuhr ich in Begleitung meines Vaters zum DHZ. Dort bekam ich bei der Anmeldung ein Infopaket der jeweiligen dort anwesenden vier CI-Firmen. Zunächst wurde eine Audiometrie gemacht, die etwas intensiver war, als die bei meinen letzten beiden HNO-Ärzten und Hörgeräteakustikern. Hierbei stellte sich zu meiner Überraschung heraus, dass ich mein Hörvermögen nahezu verloren hatte und die Hörgeräte somit „wirkungslos“ waren.  Nach einer Weile Wartezeit ging es zu einem Ingenieur, der mir alle aktuellen Cochlea-Implantate aller Firmen vorstellte. Zur Entscheidungsfindung konnte ich alle Geräte kurz probetragen. Danach fand ein Gespräch mit einem Pädagogen statt, der anhand von Fragen und des Gespräches meine bisherige Hörbiographie und meine Erwartungshaltung festhielt. Nach einiger Zeit des Wartens kam es dann zum Abschlussgespräch mit Prof. Dr. A. Lesinski-Schiedat und einer Assistenzärztin. In diesem Gespräch wurde mir mittgeteilt, dass es bis dahin sehr gut aussieht und einer CI-Indikation für beide Seiten der Ohren nichts mehr im Wege stand.

So fuhr ich positiv gestimmt nach Hause und befasste mich in den folgenden Tagen mit der Entscheidung, welches CI-Implantat für mich und meine Situation am „besten“ war.  Durch das „T-Mic“ und auch das Gesamtpaket und der Tatsache, dass Advanced Bionics mit Phonak zusammenarbeitet, fiel meine Entscheidung sehr schnell für diese Firma. Nachdem ich meine Entscheidung  dem DHZ mitgeteilt hatte, ging alles sehr schnell. Am 23. August 2017 wurde ich für alle weiteren Voruntersuchungen und die anschließende Operation in die MHH eingeladen

Dies war der erste Schritt in ein Leben ohne Hörgeräte und ich freute mich wahnsinnig darauf

In der nächsten Ausgabe berichte ich, wie es dann mit dem 1. Cochlea-Implantat weitergeht.

Matthias L.