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Herzwärts durchs Ohr

Von Sonja

„Hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit“ so lautete die Diagnose im September 2018 für unseren damals drei Monate alten Sohn. Als er im Mai auf die Welt kam war das Neugeborenen-Hörscreening auffällig. Damals sagten sie noch zu uns, wir sollten uns keine Sorgen machen, das kann schon mal passieren, „Bestimmt hat das Gerät gesponnen.“

So gingen wir drei Monate zu den verschiedensten HNOs, bis wir dann durch einen BERA, eine Art „Hirnscan“, endlich Klarheit bekamen.

Das war ein Schock! Ich hatte damit gerechnet, dass alles in Ordnung wäre. Ich war überzeugt er hätte mich die letzten Monate gehört. Z.B. wurde er ruhiger, wenn ich ihm etwas vorgesungen habe. Dass er dabei meist auf meiner Brust lag und die Vibration meiner Stimme spürte, kam mir erst später.

In diesem Moment hielten wir uns an den Händen und fielen aus allen Wolken. Unser Baby hatte also noch nie die Stimmen seiner Eltern gehört. Kein „Ich liebe dich“, kein Vogelgesang, kein Lachen, keine Musik.

So eine Diagnose ist natürlich schlimm. Aber nach dem ersten Schreck wurde uns klar: Es gibt so viel Schlimmeres! Unser Kind kann eben „nur“ nicht hören. Wir hatten unglaubliches Glück, dass es so früh festgestellt wurde, denn so können wir am meisten tun.

Wir hatten niemanden mit Hörschädigung in der Familie und fanden im November trotzdem durch einen Test heraus, dass es genetisch bedingt ist. Mit Hörgeräten probierten wir es zwar, kamen aber nicht weit. Unser Zwergi hörte dafür einfach zu schlecht. Ohne Hörhilfen reagiert er nicht mal bei 90dB (=Konzertlautstärke). Relativ schnell war klar: Cochlea Implantate sind seine Möglichkeit zu hören.

Aber davor mussten wir noch durch einige Voruntersuchungen. Im Februar wurden unter Narkose MRT, CT und eine weitere BERA durchgeführt. Obwohl dabei ja eigentlich nichts Dramatisches passierte, war das für uns als Eltern der schlimmste Tag. Unser Baby abzugeben war herzzerreißend. Wir taten das einzig Richtige, lenkten uns so gut es ging ab und waren danach so erleichtert, ihn endlich wieder in die Arme schließen zu können.

Im April stand dann die Implantation an. Es war geplant innerhalb einer OP beide Ohren mit CIs der Firma MedEL zu versorgen. Nach knapp 4 Stunden riefen uns die Ärzte an, wir sollten bitte kommen. Wir waren so euphorisch, denn wir dachten, dass wir es jetzt hinter uns hätten. Auf die Zeit achteten wir gar nicht. Mein Mann redete zuerst mit den Ärzten und fing mich dann vor dem OP ab.

„Sie sind noch nicht fertig“ sagte er und wir setzten uns. Während der OP waren die Zuckerwerte unseres Sohnes gefallen und die Ärzte hatten sich nach der Implantation der rechten Seite entschieden, uns dazu zu holen. Zusammen entschieden wir, die OP zum Wohl unseres Kleinen abzubrechen und die linke Seite in einer zweiten OP zu machen. Für mich war dieser Moment sehr schlimm, denn es hieß: ein zweites Mal stationärer Krankenhausaufenthalt, eine zweite OP und Narkose, ein zweites Mal Schmerzen für mein Kind.

Doch noch in dieser Nacht bereute ich unsere Entscheidung absolut nicht mehr. Unser Zwerg hatte Schmerzen und hat sich sehr aufgeregt, weil er nicht auf der rechten Seite schlafen konnte. Wie wäre das erst mit zwei frisch operierten Seiten gewesen? Ansonsten erholte er sich aber ganz großartig von der OP! Die einzige Nachwirkung war Nasenbluten.

Einen Monat später war die Erstanpassung und unser Sohn reagierte auf eine Glocke. Dieser Moment war unbeschreiblich! Wenn dein Kind noch nie im Leben etwas gehört hat und dann das erste Mal reagiert… Dieses Glück kann man nicht in Worte fassen!
Es folgen immer mehr Erfolge und dann auch die zweite OP, die problemlos verlief.

Er freut sich wirklich über jedes neue Geräusch, was er hören kann und saugt alle Eindrücke in sich auf wie ein Schwamm. Momentan warten wir auf die Erstanpassung der linken Seite und freuen uns auf und über jeden weiteren Fortschritt. Dabei geht es ja nicht nur ums Hören, sondern auch um die Sprachentwicklung.

Zusätzlich lernen wir trotzdem Gebärdensprache und unser Zwergi gebärdet auch langsam seine ersten Worte. Seine erste Gebärde war CI. Noch vor dem ersten Wort in Lautsprache.

Es gibt verschiedenste Gründe, warum wir DGS lernen, aber der einfachste ist wohl: Ein CI ist „nur“ Technik. Was wenn es mal ausfällt, kaputt oder verloren geht? Schweigen wir dann? NEIN!

Durch die Cochlea Implantate wollen wir unserem Sohn natürlich zum einen die Möglichkeit geben zu hören, außerdem wird es für ihn so viel einfacher Lautsprache zu lernen. Wenn er das später mal nicht möchte und lieber gehörlos leben möchte, ist das vollkommen in Ordnung!

Aber diese Entscheidung muss er irgendwann selbst treffen und wir versuchen ihm beides offen zu halten. Wir sind unglaublich dankbar, dass für unseren Sohn, durch die heutige Medizin und Technik, beide Möglichkeiten erreichbar sind.

Sonja
Juli 2019