Skip to main content

Mein Weg zum Cochlea Implantat

von René Günnel

Mein Name ist René Günnel und ich war 50 Jahre alt, als ich mein erstes Cochlea Implantat (CI) bekam.

Seit meiner Geburt, der eine Rötelnembryopathie zugrunde lag, bin ich mit einer Schwerhörigkeit auf dem rechten und mit einer weitgehenden Taubheit auf dem anderen Ohr, dazu noch ein, zwei anderen Behinderungen auf die Welt gekommen.

Meine Schwerhörigkeit wurde aber erst im Alter von drei Jahren wirklich erkannt und etwa zwei Jahre später erfolgte auf dem "gesünderen" Ohr rechts eine Versorgung mit einem Taschenhörgerät. Vier Jahre später versuchte man mit Hilfe einer OP das schlechtere Ohr links "fit" zu bekommen, aber im Grunde hat sich diese Maßnahme als nicht hilfreich erwiesen. So bin ich dann noch viele Jahre mit der einseitigen Versorgung in der Schule, der Lehrausbildung und Beruf durch die Zeit geschwebt, hatte insgesamt bis 2016 neun Hörgeräte und muss sagen, dass ich das Glück hatte bis etwa 2010 gut damit zurecht zu kommen. 

Die ersten Hörprobleme auf dem rechten Ohr tauchten im Oktober 1998 auf. Mein Hörvermögen war auf einmal schlagartig wie ausgewechselt, kurzum: ich hörte wirklich stark vermindert, obwohl es bei den Audiomessungen nur in wenigen Bereichen leicht schwächer messbar war, fast so wie es sonst auch galt. Aber der Hörfakt war so gegeben. Zeitweise konnte ich auch wieder gut hören, aber es war nur stundenweise. Im Beginn des Januar 2002 hörten diese Probleme bzw. Schwierigkeiten auf und ich hatte sie bis 2010 gar nicht. Diverse Untersuchungen hatten keine eindeutigen Diagnosen zur Folge.

Dann begannen die beschriebenen Probleme erneut und 2013 waren sie noch immer vorhanden. In dieser Zeit war ich bei meiner jetzigen HNO-Ärztin, der ich meine Situation schilderte und die mir damals empfahl mich mit dem Gedanken an ein CI vertraut zu machen oder zuzulassen. Ich war aber immer noch der Meinung, gut damit zurecht zu kommen und wollte die Zeit irgendwie durchprobieren, als würde man das erstmal aussitzen wollen und schauen, was die Zeit bringt, schließlich war es ja schon Mal wieder besser geworden.

Aber die Zeit bis Sommer 2015 änderte sich meine Hörsituation stetig. Mein Cousin wies mich erstmals auf diesen Umstand hin. Zwei Wochen später ereilte mich eine Erkältung, die zur Folge hatte, dass alles ziemlich verstopft klang, als hätte man viel Watte im Ohr oder Wasser oder das Hörgerät wäre schlecht eingestellt.

Ich suchte wieder meine Ärztin auf und besprach mit ihr das Problem. Es wurden wieder diverse Untersuchungen durchgeführt, die ergaben, dass meine Hörschwelle sowas von miserabel war, dass man jetzt wirklich ernsthaft ein CI in Erwägung ziehen sollte.

Ich habe mir mit dem Gedanken bis in den Herbst Zeit gelassen und mir erst dann Informationen zu diesem Thema verschafft. Zudem hatte ich noch eine TV-Dokumentation über eine junge Frau namens Nathalie vor Jahren in Erinnerung, die ich als sehr interessant und aufschlussreich empfand.

Bis zu meiner Erstvorstellung am CIZ in Leipzig verging noch etwas Zeit, aber mein Hörvermögen wurde weiter schlechter. Da ich nur einseitig versorgt bin, waren meine Möglichkeiten unter Leuten in großer wie im kleiner Runde seit vielen Jahren begrenzt, dass was da gesprochen wurde, aufzunehmen. Beim Weg zum CIZ konnte ich zwar im 1:1-Gespräch noch einigermaßen ganz gut verstehen, aber die Distanz durfte nicht unter einen Meter rutschen. Und selbst da, naja, war das manchmal ein doch  sehr schwieriges Unterfangen.

Da ich absolutes Lärmverbot von der HNO-Ärztin verordnet bekommen hatte, war es schwierig in entsprechenden Umgebungen hörtechnisch zu agieren. Bei Radio und Fernsehen hatte ich bis dato immer eine Induktionschlinge (T-Spule am HdO) um den Hals, um die Verständlichkeit bzw. das Verstehen zu erleichtern. Doch auch das bereite mir nun Probleme, da es mir nicht mehr möglich war, angenehm laut zu hören, weil ich eben dem besagten Verbot unterlag und auch am CIZ der Uniklinik wurde mir das nach den ersten audiometrischen Untersuchungen nochmals bestätigt. 

Ich begann mehr und mehr Hörpausen einzulegen, weil ich dachte, damit meine zunehmende Hörverschlechterung aufzuhalten oder vor einem Absturz bewahren zu können. Aber das war eher ein Trugschluss als eine Quelle des Erholens für mein Ohr. 

Erst vier Monate nach der Erstvorstellung kam es dann zu den üblichen Untersuchungen und Gesprächen über meine Hörbiografie. Doch es vergingen bis zur Befundsprechstunde noch einmal zwei Wochen. Bis dahin agierte ich im Grunde genauso wie vorher auch: Hörpausen über Hörpausen, doch innerlich wusste ich genau, das mir das nicht gut tat, dass mein ganzes verfahrenes Hörvermögen mir überhaupt gar nicht gut tat, dass ich anfing, viele Zweifel und Ängste zu haben.

Die Befundsprechstunde bei Dr. Meuret im Mai 2016 rettete mich dann aus meiner Ungewissheitsphase und mir wurde gesagt, dass die Möglichkeit eines CI ausdrücklich besteht. Sie wies mich auch eindringlich darauf hin, denn durch die vorliegende Augenkrankheit wäre es sinnvoll das Sinnesorgan Ohr zu erhalten, da niemand sagen kann, wie es mit dem visuellen Sinnesorgan, dem einzigen was mir seit Geburt zur Verfügung steht, was noch geschehen kann, wie es sich entwickelt und leider sind die Möglichkeiten hier nur auf die medikamentöse Therapie beschränkt.

Um mir noch ein bisschen Luft bei der Entscheidung für ein CI zu lassen, wollte ich noch die Möglichkeit nutzen, es mit einem neuen Hörgerät zu versuchen. Auch deshalb, weil ich mir hinterher nicht den Vorwurf machen wollte, nicht alles Mögliche ausgereizt oder ausgeschöpft zu haben, ehe ich mir eine endgültige Entscheidung getroffen habe, um zu sehen, wie groß oder klein der Sprung mit einem neuen Gerät im Gegensatz zu dem bisherigen wäre bzw. ist.

Der war wirklich nicht sehr groß. Im Grunde genommen war er nicht viel anders. Der Akustiker erklärte mir auch auf Nachfrage, dass angesichts meiner Hörsituation ein stärkeres Gerät nicht in Frage kommen würde. Die Sache war gelaufen. Das wusste ich, das war klar. 

Doch ich spürte, dass ich mich in meinem hintersten Winkel schon lange für das CI entschieden hatte. Doch ich musste mir die Entscheidung doch noch Mal ganz genau, ganz gründlich durch den Kopf gehen lassen. Es gab viel zu bedenken, abzuwägen etc. Schließlich ist so etwas eine Entscheidung fürs Leben.

Mir blieb nur die Möglichkeit entweder für irgendwann taub zu werden oder bald wieder besser hören zu können. Das zweite bzw. letzte war verlockender, war aber auch so unglaublich weit weg. Aber es war doch nah.

Anfang Juli 2016 stand es für mich nach reiflicher Überlegung fest, dass meine eigenen Möglichkeiten mit dem bisherigen Verlauf erschöpft waren. Ich musste den letzten Versuch wagen.

Im Oktober war es dann soweit. Vorher feierte ich noch meinen 50. Geburtstag und schlug damit ein neues Kapitel auf: Das CI wurde meine letzte Hoffnung.

Die folgenden Wochen nach der erfolgreichen OP waren aber die schwierigsten, die ungeduldigsten. Schließlich hörte ich ja erstmal nichts mehr. Ich habe mir aber in dieser Zeit immer wieder klar gemacht, dass es keinen anderen Weg gab, dass ich das Vertrauen in die Ärzte bei der OP sehr hoch gehalten habe, dass alles gut gehen wird und das war es ja im Grunde auch. Schließlich waren bis zu diesem Zeitpunkt die elementarsten Höreindrücke und Hörsinne sehr beschränkt. Am allerschwierigsten waren Telefongespräche, die ich seit fast einem Jahr nicht mehr führen konnte, Musik habe ich genauso lange vermisst und das wollte ich so nicht mehr.

Die Tage vergingen und bald schon stand die Erstanpassung an.

Dennoch war ich mit meinen Hoffnungen vorsichtig, denn niemand wollte oder konnte mir in Bezug auf das Hören mit CI ein Versprechen abgeben. Also machte ich es mir selbst, bevor ich am CIZ die Tür öffnete.

Ich bekam am 7. November 2016 den Prozessor hinters Ohr und die Spule auf den Kopf gesetzt und dann wurde es ernst, es wurde angeschaltet und es war ein wirklich großer, schöner und überwältigender Moment in meinem Leben. Auch wenn die ersten Minuten der Anfang waren, ich konnte wirklich schon erste Worte verstehen. Es war unglaublich, ich hatte sogar Tränen in den Augen.

Die erste Woche Basistherapie war schnell herum. Die Überwältigung mit Stimmen und Geräuschen war schier grenzenlos, war manchmal nicht auszuhalten. Da mussten schon einige Hörpausen herhalten, was auch genehmigt war, etwas was ich zulassen sollte.

Zunächst habe ich einführendes und erläuterndes Gespräch in der Therapie noch mit Hilfe des PC-Monitors via Word geführt, so dass mein Wortschatz in Bezug auf das neue Hören und Verstehen so mit gefordert und gefördert bzw. entwickelt wurde. Es war ein schöner, wenn auch langer, anstrengender Prozess in dieser Woche von fünf Tagen, aber es war ein lohnender. Es ging recht gut voran, meine Fortschritte waren in dieser Zeit erfolgsorientiert und meine Zuversicht wuchs und mein Selbstbewusstsein tat das gleiche.

Zum ersten Mal nach langer Zeit bin ich in all den Tagen am Ende des selbigen mit einem immer besseren Gefühl ins Bett gegangen. Dennoch, es blieben ein paar Zweifel. Aber das war okay.

Waren die Ergebnisse in Therapie und Anpassung wirklich auch positiv, so merkte ich doch, dass es im Alltag Zuhause doch anders war. Die Geräusche mussten wieder zugeordnet werden, die Stimmen der Menschen ebenso und der Prozess des neuen Hörens war noch lang, noch weit.

Ich begann mithin meine eigene Therapie zu entwickeln. Zum ersten Mal habe ich Radionachrichten verfolgt, da diese noch am einfachsten für mein Empfinden zu verarbeiten waren. Ich habe oft das Minimikrofon benutzt, da es für mich so am einfachsten war, am besten halt.

Aber ich habe mich nicht ausgeruht. Bin meinen Weg weiter gegangen. Anfang Dezember 2016 - obwohl das in der Therapie erst später kam - habe ich Musik ausprobiert. Auch das über Radio, nicht CD. Das wollte ich mich nicht so wagen. Und so kam Musik in Dosen, doch das war am schwierigsten. Musik mit CI, da gibt es Möglichkeiten, aber auch Grenzen.

Ich weiß noch, dass der erste Song "Always on my mind" von den Pet Shop Boys war, deren Songs ich über alles liebte. Aber was war das grauenhaft! Würde mit das jemals gelingen, wieder Musik hören zu können. Erstmal war das für mich keine Option.

Silvester raffte ich mich auf und hörte bis in den neuen Tag nur Musik im Radio. Und es wurde immer besser. Natürlich noch nicht so wie ich es wünschte, aber es war ganz annehmbar.

Beflügelt von diesem Schritt ging ich dazu über das auszubauen und nahm auch den nächsten Schritt. Ich hatte aus der alten Hör-Zeit sehr viele Hörbücher. Würde es mir gelingen auch hier die Hörreise zu erweitern. Ja, das wollte ich, sogar in der Schlecht-hören-Phase war das mit einer meiner größten Wünsche. Und so begann ich mit dem ersten Hörbuch. Das war natürlich noch sehr anstrengend. Aber davon ließ ich mich nicht abhalten.

Ich habe dann Musik und Hörbuch nach und nach weiter verfolgt und es hatte sich nach einigen Monaten allmählich immer besser angefühlt und angehört, es war für mich ein erhabenes Gefühl mich auf den nächsten Level zu heben.

Mit den Monaten wurde es besser. Allerdings habe ich heute nach zwei Jahren und dem Abschluss der Therapie doch noch Schwierigkeiten oder Probleme. Besonders beim Telefonieren, egal ob mit oder ohne Hilfsmittel. 

Auch die Schwierigkeiten in Gruppengesprächen kann ich ohne Hilfsmittel nicht ausreichend bewältigen. Aber ich bin froh, diese Hilfe zu haben. Sie geben mir eine gewisse Sicherheit und bieten gleichzeitig einen guten Komfort, so kann ich gut Kontakte halten und knüpfen.

Und das ist wichtig für und mit dem neuen Hören.

Ich freue mich über mein CI. Von den gesagten Schwierigkeiten abgesehen, bin ich sehr zufrieden damit. Ich mag es wirklich nicht mehr missen, nicht mehr hergeben. Auf gar keinen Fall!

Es hat mein Leben neu bereichert, einen Sinn gegeben, wieder einen positiven Blick für die Zukunft zu haben, den Blick dorthin zu heben. Jeden neuen Tag!

 

April 2019
René Günnel