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Cochlea-Implantat: die Rückkehr des Hörens

Von Theo Hutter

Ende 2012, im Alter von 56 Jahren, wandte ich mich erstmals an ein Hörinstitut zur Abklärung meiner Hörprobleme, die sich im privaten und beruflichen Alltag bemerkbar gemacht hatten. Fünf Jahre später habe ich mich erstmals für eine Hörgeräteversorgung entschieden. Bereits eineinhalb Jahre später, war meine Hörfähigkeit soweit zurückgegangen, dass ich zunehmend Mühe bekam, zentrale berufliche Funktionen, zum Beispiel die Leitung von Arbeitsgruppen, wahrzunehmen. Privat verstand ich in geselligen Runden niemanden mehr, der sich nicht direkt an mich wandte.

Zufällig kam ich in Kontakt mit einer schwerhörigen Person, deren Hörversorgung auf einem Cochlea-Implantat (CI) basierte und die damit sehr gute Erfahrungen gemacht hatte. Da ich mich auch auf eine vollständige Sprachtaubheit hinsteuern sah, war es für mich schnell klar, dass ich auch ein solches «Kunstohr» haben möchte. Anfang 2019 wurde mir dann ein CI in den Schädelknochen eingesetzt. 

 

Natürlich war mir bange vor der Operation. Es ist ein großer Eingriff und es bestehen Risiken. Direkt hinter dem Ohr wird eine Öffnung in Form eines auf dem Kopf stehenden grossen L geschnitten. Ausgehend davon wird die Haut angehoben, um die Vertiefungen in die Schädeldecke zu bohren, in welche das Implantat (2.5 x 4.5 cm) platziert wird. Der Schädelknochen, der sich direkt an der aufgeschnittenen Stelle befindet, muss komplett aufgebohrt worden, um einen Zugang zum Innenohr frei zu bekommen und zwar bis zur Gehörschnecke, in welche dann das Elektrodenkabel des Implantats geschoben wird. Die Risiken bestehen darin, Gleichgewichts-, Geschmacks- und Gesichtsnervenbahnen, die sich im Operationsgebiet befinden, zu verletzen. Ich war überglücklich, dass alles gut lief und fühlte mich bereits kurz nach der Operation sehr gut und unverändert standhaft.

Und so sah die Wunde am Tag nach der Operation aus (Bild 1). Die martialisch wirkenden Klammern bilden nur den Abschluss der Schnittvernähung. Darunter ist mit feinen Fäden gearbeitet worden, die sich im Verlauf der Wochen nach der Operation, wenn das Gewebe wieder zueinander gefunden hat, ohne äusseres Zutun auflösen. 

Mit einem Pflaster über der Wunde konnte ich bereits wieder nach Hause. Mit auf den Weg bekam ich ein Computertomogramm meines Schädels. Und nun sah ich es schwarz auf weiss: das Implantat ist gesetzt.

Für zehn Tage blieb ich dann, auf ärztliches Anraten, der Arbeit fern. Eine wichtige Zeit, das Gefühl der Verletztheit zu verarbeiten und sich mit dem Implantat als neuen festen Bewohner meines Körpers anzufreunden. 

Die für mich zuständige Akustikerin erklärte mir das Funktionieren des Klangprozessors und passte die Lautstärke an, welche dessen Mikrofon über das Implantat an meinen Hörnerv leitet. Sofort nach dieser Einstellung hörte ich zu meinem Erstaunen mit meinem neuen Ohr die Akustikerin zu mir sprechen. Sie sprach langsam und kräftig. Und ich verstand sie.

Allerdings auf zwei ganz unterschiedliche Arten. Auf dem linken Ohr, ohne Hörgerät, mit dessen verbleibender etwa 10-prozentiger Hörfähigkeit, in einem unscharfen, aber vollen Klangbild. Auf der Implantat-Seite mit einem hohen, dünnen Klangskelett. Das tönte etwa so, wie es sich anhörte, als man vor 40 Jahren mit schlechter Verbindung nach Übersee telefonierte.

Das Verstehen des Gehörten schien mir zuerst im linken Ohr zu passieren und auf dieser Basis wurde auch das via Kunstohr gehörte verständlich. Als ich das linke Ohr mit einem Kopfhörer abdeckte wurde es schwieriger, aber wenn die Akustikerin langsam sprach, konnte ich sie auch allein mit dem neuen Ohr verstehen. Ich war begeistert.

Daran änderte nichts, dass die Klangfarbe ihrer Stimme völlig fremdartig war. Das Wunder war: Ich verstand nach zwei Jahren Sprachtaubheit des rechten Ohres erstmals wieder menschliche Sprache auf dieser Seite. Einen solch fulminanten Start hatte ich nur in den kühnsten Träumen zu erhoffen gewagt. 

Es ist nun ein Monat vergangen seit diesem denkwürdigen Augenblick. In dieser Zeit habe ich das neue Hören mit hoher Motivation erkundet und trainiert, indem ich den Ohrknopf von frühmorgens bis spätabends trug und ihn möglichst vielen Hörsituationen aussetzte. Und die Bilanz nach dem ersten Monat:

  • Ich kann mich mit dem neuen Ohr und ohne Hörgerät am linken Ohr in ruhiger Umgebung gut mit jemandem unterhalten;
  • Ich kann, wenn ich eine Funkverbindung zwischen meinem neuen Ohr und der Schallquelle herstelle, Telefongespräche führen und Nachrichten sowie Hörbücher verstehen.
  • Die anfänglich extraterrestrisch tönenden Stimmen, die in mein neues Ohr gelangen, sind zum Teil etwas tiefer geworden; sie bewegen sich jedoch nach wie vor in höheren Tonlagen und haben ein deutlich dünneres Volumen als ich dies vom früheren Hören und auch vom Hören mit dem klassischen Hörgerät her kenne;
  • Im Arbeitsalltag unterstützt mein neues Ohr das klassisch versorgte linke Ohr, wobei letzteres nach meiner Einschätzung nach wie vor den Hauptbeitrag leistet;
  • In lärmigen Umgebungen habe ich, wie schon mit der beidohrig-klassischen Hörversorgung in dem halben Jahr vor der CI-Operation, kaum eine Chance etwas zu verstehen, das nicht ganz direkt an mich gerichtet ist;
  • Musik tönt in meinem neuen Ohr völlig anders als ich mir das gewohnt bin und wie ich es mit dem linken Ohr ansatzweise noch hören kann.
  • Klavier zu spielen ist mit dem neuen Ohr ein Eintauchen in disharmonische Klänge. Auf einen Klanggenuss, wie ich es mir beim täglichen Spielen seit vielen Jahren gewohnt war, muss ich (vorerst?) vollständig verzichten. Allerdings hatte der Klanggenuss bereits mit der klassischen Hörversorgung kontinuierlich abgenommen, da ich die Töne in den mittleren und höheren Tonlagen immer weniger deutlich hörte und auch das Klangbild ausdünnte.

Alles in allem überwiegt die grosse Freude, auf meiner rechten Seite wieder zu hören und darauf bauen zu können, dass dieses Hören nicht kontinuierlich abnimmt, wie ich dies bei der klassischen Hörversorgung erfahren musste, sondern sich noch weiter verbessern dürfte. Und zwar nachhaltig. Die Elektroden des Cochlea-Implantates sind nämlich in der Lebenszeit, die mir noch bleibt, keinem degenerativen Alterungsprozess unterworfen. Dies trifft auch auf einen laufend stimulierten Hörnerv zu.

Wer Interesse hat, die weitere Entwicklung meines neuen Hörens zu verfolgen, kann den Erfahrungsbericht auf meiner eigenen Webseite lesen, den ich laufend aktualisiere: https://cochlea-implantat-2.jimdofree.com/

März 2019
Theo Hutter