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In der Ruhe liegt die Kraft

von einer jugendlichen hörgeschädigten Sportschützin

Silke Kim Fischer

Ich bin 17 Jahre alt, stehe kurz vor meinem ersehnten Abitur und schieße nebenher seit 2015 im D-Kader im Landesleistungszentrum in Pforzheim und auch in der Gehörlosen-Nationalmannschaft im Sportschießen. Klingt fast schon selbstverständlich, doch diese Möglichkeit, meinen Alltag wie fast jeder andere Mensch zu führen, ist das Ergebnis jahrelanger Mühe.

Angefangen hat sie mit der Diagnose, bei der ich fast 2 Jahre alt war und dank der Beharrlichkeit meiner Eltern früh diagnostiziert wurde. Damals litt ich an hochgradiger Schwerhörigkeit und es kam schon das Cochlea Implantat in Frage, doch meine Eltern setzten ihre Hoffnungen auf Hörgeräte, da diese keinen so großen Eingriff erforderten. Als Kind sind Hörtests unheimlich schwierig, sodass wir zu einer spezialisierten Akustikerin wechseln mussten, die ungefähr eine Autostunde entfernt ist. Mit Hilfe regelmäßiger Logopädiestunden konnte ich - zwar etwas verspätet - die Sprache gut erlernen und ich gewann ein großes Stück Lebensqualität.

Ein großes Ziel erreichte ich mit dem Besuch des örtlichen Gymnasiums, das mit rund 300 Schülern relativ kleine Klassen bildete und für mich optimal ist. Doch während der 5. Klasse stellten die Lehrer fest, dass ich trotz Mikrofon und FM-Anlage immer schlechter hörte und öfters nachfragen musste, um meinen Wissensdurst dennoch stillen zu können. Nach Rücksprache mit meinen Eltern und Akustikern und anfänglicher Skepsis, beschloss ich mit 11 Jahren selber, mir auf der rechten Seite, meinem schlechteren Ohr, ein Cochlea Implantat einsetzen zu lassen.

Die ganzen Sommerferien verbrachte ich damit, das Hören wieder neu zu erlernen, denn obwohl ich davor schon hörte, fühlte es sich mit dem eingesetzten Implantat wieder komplett anders an. Ich erinnere mich noch gut an die spielerisch geführten Therapieübungen mit meiner Schwester. Mir machte das großen Spaß und ich wollte immer dranbleiben, da sich erste Erfolge einstellten. Komplett neu war für mich das Verständnis digitaler Audiosprachen. Zum ersten Mal nach einigen Monaten intensiver Übungen konnte ich mit Bekannnten fast problemlos telefonieren und ich bin nicht mehr nur von den Untertiteln im Fernsehen abhängig. Außerdem entdeckte ich die Funktionalität des Radios während des Autofahrens und entdeckte auch die Musik für mich. Als ich in der Logopädie während der Rehabilitation in Freiburg einen Songtext von Tim Bendzko während des Abspielens ausfüllen musste, bemerkte ich, wie sehr ich die Töne genoss. Das war damals das Lied „Am Seidenen Faden“. Diesen Moment der Freude werde ich nie vergessen.

Auch die Straßenmusiker in der Freiburger Altstadt haben mich von dem Zeitpunkt an wie magisch angezogen. Das CI eröffnete mir viele neue Möglichkeiten, die ich wiederum für meinen Alltag gut gebrauchen konnte. So zum Beispiel die Musik als Entspannungstechnik vor dem Schießen, da dort sehr viel Mentalität und Konzentration abverlangt wird. Entgegen der Empfehlung vieler Ärzte, die mich zu einem zweiten CI drängen, komme ich im Moment mit der Mischung aus Hörgerät und CI gut klar und schätze beide als ideale Ergänzung. Ich lebe frei nach dem Motto: „Do what is right, not what is easy!“

Silke Kim Fischer

Sport ist eine absolute Leidenschaft, die mich seit der Kindheit auszeichnet. Immer wenn mir der ganze Stress mit dem Hören zu viel wurde, flüchtete ich mich in schweißtreibende Aktivitäten. Einige nennen mich Sportskanone und ich bin auch ein richtiger Adrenalinjunkie.

Früher war es für mich normal, in der Woche fünf verschiedene Sportarten zu trainieren. Von TaeKwonDo, Schwimmen, Triathlon, Klettern im Donautal, Laufen, Trail-Mountainbiken bis hin zu Sommerbiathlon und Schießen war alles dabei. Es war früh klar, dass in mir ein großes Potenzial steckt und einige Trainer wollten noch mehr Einsatz von mir in den jeweiligen Sportarten. Nach meiner Operation musste ich leider die Kampfsportart kurz vor dem schwarzen Gürtel aufhören, da der Vollkontaktwettkampf mein Implantat im Kopf gefährden könnte.

Letztendlich bin ich im Sportschießen hängengeblieben und das mit Erfolg. Bei der deutschen Rangliste mische ich vorne mit und 2016 belegte ich bei der Gehörlosen-Weltmeisterschaft in Kazan/Russland einen guten 8. Platz in der Damenklasse und 2017 einen zufriedenstellenden 10. Platz bei den Deaflympics in Samsun/Türkei.

Dort begegnete ich auch Felicitas Merker, die mir sehr imponierte und seither mein großes Vorbild ist. Nächstes Jahr richtet sich mein Fokus auf die Gehörlosen-Europameisterschaft in Moskau/RUS, bei der ich mit einer weiteren neuen Disziplin, der Sportpistole, antreten möchte. Des Weiteren war ich dieses Jahr im Februar 16 Tage im Deutschen Olympischen Jugendlager in Pyeongchang/Südkorea bei den Olympischen Winterspielen und konnte mich neben tollen Erfahrungen im Bereich Doping, organisierter Sport und Inklusion weiterbilden.

Mein Fazit: Der Tag ist viel zu kurz! Neben den bereits erwähnten Zielen habe ich auch einige weitere Vorhaben. Nach meinem Abitur möchte ich in Heidelberg Lehramt Sonderpädagogik studieren mit den Förderschwerpunkten Hören und Lernen sowie den Fächern Mathe und Sport. Bei letzterem habe ich in diesem Jahr bereits die Sporteingangsprüfung bestanden.

Das ist mein großer Wunsch für die Zukunft, ich möchte unter anderem als Lehrer an einer Schule für Schwerhörige anderen dazu verhelfen, ihr Potenzial entdecken zu können und dieses zu entfalten. Vor allem im Sport😊!

Ein großer Dank gilt besonders meinen Eltern, die sich sehr zeitintensiv um mich kümmerten, sodass ich stolz auf meine Hörentwicklung sein kann. Dies fing schon mit einem unermüdlichen Kampf um einen Platz im Regelkindergarten in meiner Stadt an. Auch bei Lehrgängen scheuen sie sich nicht davor, teilweise drei Stunden bis zu dem Ort zu fahren, denn ohne diese Hilfsleistung könnte ich mich nicht im Sport profilieren.

Für alle jungen und junggebliebenen Hörgeschädigten kann ich auch noch die Bundesjugend – Verband junger Menschen mit Hörbehinderung e.V. empfehlen, denn dieses Team ermöglicht spannende Treffen mit lockerem Austausch untereinander mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus ganz Deutschland und darüber hinaus.

Oktober 2018
Silke Kim Fischer